SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit
hält. Nach diesem Abend bin ich noch neugieriger auf diesen Mann und sein Projekt.
Am nächsten Morgen in aller Frühe warte ich vor seinem Haus auf Tompkins. Wir sind zu einem Ausflug verabredet. Er kommt aus dem Haus und geht im Laufschritt über die Graspiste zu einem groÃen Holzschuppen, der aussieht wie eine verwitterte Garage und sich als Hangar seines kleinen zweisitzigen Flugzeugs erweist. Wortlos läuft er einmal um die Maschine herum, prüft den Ãlstand und bittet mich, schon mal hineinzuklettern. Ich folge seiner Anweisung vorsichtig und voller Respekt vor dem, was kommt. Ich bin ein bisschen nervös, weil ich noch nie mit so einem kleinen Ding geflogen bin. Doch die Nervosität verflüchtigt sich im nächsten Moment und weicht einem anderen Gefühl. Jetzt bin ich aufgeregt wie ein kleiner Junge auf Abenteuerurlaub. Dann setzt sich Tompkins ans Steuer, legt Gurt und Kopfhörer an, reicht mir den zweiten Kopfhörer, prüft die Geräte und den Funk und startet den Propeller.
Die Maschine, ein Buschflugzeug Typ Christen Husky, rollt langsam aus dem Hangar ans eine Ende der Graspiste. Tompkins gibt Gas, die Husky setzt sich in Bewegung und holpert immer schneller über die Piste, bis Tompkins sie hochzieht und nach ein paar Momenten nach links abdreht über den Fjord. Rechts ein Berg mit Urwald, links ein Berg mit Urwald. Es ist ganz schön wackelig, der Wind spielt mit dem kleinen Flugzeug, in dem wir sitzen. Tompkins freut sich. Er lächelt zufrieden. So fliegen wir erst mal ein paar Minuten wortlos über eine Traumlandschaft, die mir den Atem raubt. Bis zum Horizont keine StraÃen, keine Fabriken, keine Stadt. Stattdessen Fjorde, baumbewachsene Hügel, schneebedeckte Berggipfel, kleine Seen und Vulkane. Von hier bis zum Horizont gehört alles Land Tompkins und seiner zweiten Frau bzw. ihren Stiftungen. Warum das alles?
»Ich will das Land nicht für mich«, stellt Tompkins über das Bordmikro klar. »Wozu sollte ein Mensch so viel Land besitzen?« Nein, er will es der Beschleunigung entziehen und der Natur zurückgeben. In den letzten zwanzig Jahren hat er es Stück für Stück zusammengekauft und zu einem riesigen Naturschutzgebiet zusammengefügt.
Er hat sich auf einen Wettlauf gegen die Zeit eingelassen: Unberührtes Land kauft Tompkins, um es dem gierigen Griff der Industrie zu entziehen und vor Abholzung, Ãberweidung, Monokulturen, Bebauung oder Ausbeutung zu schützen. Bereits zerstörtes Land lässt er in mühsamer Kleinarbeit wieder renaturieren und in den Urzustand bringen. Auf diese Weise ist unter anderem der Pumalinpark entstanden, über den wir seit fast zwanzig Minuten fliegen, das gröÃte private Naturschutzgebiet der Erde: 290 000 Hektar groÃ, siebzehn Berge, 23 Flüsse, zwei Vulkane, 260 verschiedene Baum- und Pflanzenarten darauf, 42 Arten von Säugetieren, 71 Vogelarten. Demnächst will er den Park dem chilenischen Staat als Nationalpark übergeben. Unter einer Bedingung: dass das Gebiet als Park geschützt bleibt. Ein riesiges Gebiet, so groà wie das Saarland, wird dann für immer entschleunigt sein.
Zweimal ist ihm ein solcher Coup schon gelungen. Zwei andere Nationalparks sind auf diese Weise entstanden, gewaltige Landstriche hat er so schon dem Raubbau des Wachstums und der Beschleunigung entzogen. 2004 überschrieb Tompkins Argentinien ein Gebiet von 62 000 Hektar am Atlantik mit Seeelefanten, Seelöwen und Pinguinkolonien darauf. 2005 übergab er 87 000 Hektar Urwald an die Republik Chile. Teil des Deals war, dass der Staat noch einmal die doppelte Fläche dazugeben musste, ein riesiges Militärgelände. Das Ganze wurde zum Parque Nacional Corcovado. Vielleicht gelinge das diesmal wieder, sagt Tompkins und grinst dabei schlitzohrig.
Nach ein paar Minuten, wir fliegen gerade an einem schneebedeckten Berggipfel vorbei, klappt Tompkins das Seitenfenster nach oben. Er klemmt das Steuer zwischen die Knie, nimmt seine Spiegelreflexkamera hoch und beginnt, Fotos aus dem Seitenfenster der Husky zu schieÃen. Zuerst macht mich das ziemlich nervös, denn Tompkins fliegt gerade freihändig. Doch dann ist es mir egal. Immerhin ist dieser Mann fast doppelt so alt geworden wie du, sage ich mir zur Beruhigung. Er scheint zu wissen, was er tut. Der Wind bläst mir in dieser luftigen Höhe voll ins Gesicht. Fühlt sich gut an.
Nach einer guten halben Stunde
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