SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit
industrielle Landwirtschaft darauf betrieben worden. Bis es total verbraucht gewesen und die Erosion so stark gewesen sei, dass man es aufgegeben hat.
»Als wir kamen, mussten wir erst mal die Trümmer beseitigen«, sagt Tompkins. »Das Land war tot, und wir mussten es renaturieren.
Um drei Dinge geht es uns hier. Wir wollen lernen, wie man kaputtes Land wieder heilt, wie man es wieder nutzen kann, wie man wirklich nachhaltige Landwirtschaft betreiben kann. Ohne Maschinen und ohne Kunstdünger. Nur mit dem, was wir hier vorfinden. Wie vor 150 Jahren.«
Der Verwalter der slow farm , wie Tompkins das kleine Anwesen hier liebevoll nennt, kommt aus dem Haus gelaufen. Ein junger chilenischer Biologe mit halblangen braunen Haaren und Hut. Er führt Tompkins über die Farm und berichtet von den Renaturierungsfortschritten. Mit viel Mühe und allerlei organischem Material, das man auf die ausgewaschenen Böden gebracht hätte, sei es tatsächlich gelungen, Teile des Bodens wieder fruchtbar zu machen, berichtet er seinem Chef stolz. Aber es sei viel mühsamer und dauere länger als erwartet. Tompkins scheint es geahnt zu haben. Man braucht für so was schon viel Geduld, Douglas Tompkins, oder?
»Zeit. Es braucht Zeit. Unser wiederkehrendes Thema: Langsamkeit«, sagt er und geht mit seinem Farmverwalter den Waldweg hinunter. Zum Glück: Er grinst wieder. Mit schier unerschöpflicher Geduld folgt er über zwei Stunden dem Redeschwall des Farmverwalters, der hier die meiste Zeit des Jahres allein mit zwei Helfern verbringt und es offensichtlich genieÃt, mal mit jemand anderem sprechen zu können. Die nächste Siedlung ist eine Tagesreise entfernt â auf dem Pferd.
Dann wendet sich Tompkins plötzlich zu mir: »Hier waren eine Rinderzucht und eine Milchproduktion. Hat nicht lange gehalten. Eine Generation, dann war hier alles hinüber. Was für gigantische Kosten ⦠Würde man die wahren Kosten hochrechnen. Der Käse hätte tausend Dollar pro Kilo gekostet. Das wäre die wirkliche Bilanz gewesen. Wenn man die Kosten nicht externalisiert hätte. Aber wie immer wurden die Kosten auf uns alle abgewälzt. Die industrielle Landwirtschaft macht genau das in groÃem Stil. Auf dem ganzen Planeten. Die Kosten werden in die Zukunft verschoben. Das sind die Kosten des ständigen Wachstums. Aber irgendjemand wird den Preis dafür zahlen müssen«, sagt der Eastwood-Doppelgänger.
Im Hintergrund führt ein junger Farmarbeiter mit buntem Baumwollponcho und breitkrempigem Hut ein Pferd übers Feld zum Stall, ein anderer schiebt eine Schubkarre vor sich her. In gemächlichem Tempo. Es ist das Tempo der slow farm . Welchen Grund gäbe es auch, sich hier oben zu beeilen?
Wir aber, Tompkins und ich, beeilen uns, seitdem ich hier bin, ständig. Warum nur? Wir sind schon wieder in der Luft und fliegen an einem schneebedeckten und dampfenden Vulkan vorbei. Wieder ist das Seitenfenster der Husky geöffnet. Und wieder fliegt Tompkins scheinbar freihändig und macht Fotos. Der letzte Ausbruch des Vulkans Chaitén, der erste seit über 7000 Jahren, wie manche behaupten, hat ihn misstrauisch gemacht und vielleicht auch ein bisschen ängstlich.
Wie kommt jemand wie Douglas Tompkins dazu, eine so radikale Wendung in seinem Leben zu vollziehen? Er sei nie angepasst gewesen, sagt er. Der Sohn eines Kunsthändlers und einer Innenarchitektin begann mit zwölf zu klettern. Mit siebzehn brach er die Schule ab und wollte nur noch klettern, Kajak und Ski fahren. Das machte er auch so gut, dass er 1960 beinah in die Ski-Olympiamannschaft der USA aufgenommen worden wäre. Anfang der sechziger lernte er seine erste Frau Suzie kennen und zog nach Kalifornien. Die beiden Hippies bekamen zwei Töchter, gründeten eine Kletterschule, dann zuerst eine Firma für Bergsteigerausrüstung, The North Face, und schlieÃlich die Modefirma Esprit. In den darauf folgenden Jahren jettete er um die Erde, baute ein Modeimperium auf und umgab sich mit so illustren Freunden wie Luciano Benetton, Steve Jobs, Ted Turner und Francis Ford Coppola, um nur einige zu nennen. Doch glücklich war er vor allem, wenn er regelmäÃig einmal im Jahr für ein paar Wochen in die Wildnis ging. Zum Klettern, Kajakfahren, Skifahren. Chile, Russland, Sambia. Das machte ihn stutzig. Er begann nachzudenken.
Eine kleine Ewigkeit später landen wir bei einer weiteren
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