SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit
gesunde Geschwindigkeit herunterzufahren? â Das Ergebnis kann sich jedenfalls sehen lassen. Aber gibt es denn wirklich nirgendwo eine Idee, wie man das Tempo des Lebens für Mensch und Umwelt verträglich gestalten kann, ohne dabei gleich die ganze Welt auf Tompkinsâsche Art stillzulegen? Oder gibt es das gute Leben, das ich suche, vielleicht gar nicht?
Hartmut Rosa: Es ist mir völlig schleierhaft, warum wir denken, es könnte nicht anders sein. Es gab in der Geschichte der Welt, in der Geschichte der Menschheit unendlich viele Variationen an kulturellen Möglichkeiten, an Ideen, Gesellschaft zu gestalten. Und immer war die Wirtschaft ein Faktor unter vielen eines gesellschaftlichen Arrangements. Daneben spielten religiöse Ideen eine Rolle, politische Ideen, ständische Prinzipien und Tradition. Und darin war die Wirtschaft eingebettet. Und dass wir sagen, unser modernes, westliches kapitalistisches System oder von mir aus auch liberal-kapitalistisch ist so vollkommen, dass wir uns keine Alternative mehr vorstellen können, ist etwas ganz Rätselhaftes.
Ich glaube, man kann und sollte die Perspektive wechseln. Ich beschäftige mich ganz gern mit Astronomie und gucke in die Sterne und die Tiefe des Weltalls, und da wird einem klar, dass das Problem, das wir jetzt im 21. Jahrhundert haben, mit einem Wirtschaftssystem, das gerade mal zweihundert Jahre alt ist, nicht das Ende des Universums bedeuten wird, auch nicht das Ende der Welt oder der Menschheit. Es werden sich andere Ideen entwickeln. Wenn man einen langen, historischen Blick anlegt, dann denke ich, dass irgendwann, wenn nicht uns westlichen abendländischen Menschen, dann anderen eine Lösung einfallen wird, die vielleicht so aussieht, dass sie das Gute unserer Gesellschaft, die ganzen Fortschritte und Leistungsfähigkeit übernehmen und trotzdem dem Hamsterrad irgendwie zu entkommen vermögen.
Ein Land sucht nach dem richtigen Tempo â Das Bruttonationalglück in Bhutan
Ich habe die Hoffnung aber nicht ganz aufgegeben, doch noch irgendwo ein Modell für das gute Leben zu finden. Deswegen sitze ich ein paar Wochen später schon wieder im Flugzeug. Diesmal bin ich unterwegs in ein winziges Land, das abgeschieden im Himalaja liegt. Eingeklemmt zwischen den mächtigen Nachbarn China und Indien: Bhutan.
Wenig ist bekannt über Bhutan, denn das Land war bis vor einigen Jahrzehnten noch vollkommen isoliert von der AuÃenwelt. Jahrhundertelang war es nur zu Fuà oder auf dem Rücken eines Maultiers zu erreichen, die Zeit scheint hier stillgestanden zu haben. Erst Mitte der achtziger Jahre wurde der erste und bislang einzige Flughafen in Bhutan eröffnet. Heute kann man zwar viermal pro Woche von Neu-Delhi aus nach Bhutan fliegen, doch in gewisser Hinsicht ist die Reise nach Bhutan immer noch ein beschwerliches Abenteuer. Der Landeanflug auf den Flughafen von Bhutan, so ist zu lesen, gilt unter Piloten als einer der schwierigsten und gefährlichsten der Welt. Denn er kann nicht mit Autopilot geflogen werden. So müssen sogar die Piloten ausländischer Staatsgäste erst mehrmals gemeinsam mit heimischen Piloten den Landeanflug geübt haben, bevor sie selbst ihr Staatsoberhaupt einfliegen dürfen.
Und wenn der Wind durch das Hochgebirgstal fegt, in dem der Flughafen liegt, dann ruht der Flugbetrieb komplett. Im Moment wäre es mir lieber, all diese Informationen nicht zu kennen. Ich sitze jedenfalls mit einer gehörigen Portion Respekt im Flugzeug Richtung Bhutan. Doch der Blick aus dem Bordfenster entschädigt mich dafür. Wir fliegen über einer watteweichen geschlossenen Wolkendecke. Auf den Tragflächen des kleinen Airbus spiegelt sich die Nachmittagssonne. In der Ferne sind einige der schneebedeckten Achttausender des Himalaja zu sehen, darunter der Mount Everest und der Lhotse.
Nach knapp zweieinhalb Stunden Flug teilt der Pilot über den Bordlautsprecher mit, dass nun der Landeanflug beginne. Es könne etwas wackelig werden und man solle sich bitte dringend gut festhalten und vergewissern, dass man angeschnallt ist. AuÃer mir scheint die Durchsage des Piloten niemanden besonders zu interessieren. Im Flugzeug sitzen fast nur Bhutaner. Die haben den Anflug offenbar schon häufiger hinter sich gebracht.
Sobald wir durch die Wolkendecke tauchen, geht es los. Mir wird schnell klar, was den Anflug so abenteuerlich macht. Der Flughafen liegt in einem engen
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