Speichelfaeden in der Buttermilch

Offenbar schien er ihnen als unkonzentrierter, unsympathischer, ungepflegter, alter, phlegmatischer und dummer Mensch prädestiniert für FM4 .
    Liebes Tagebuch, die Kolleginnen und Kollegen haben viel Häme über mir ausgegossen, nachdem meine Beurteilung beim »Quiz Express«-Casting bekannt geworden ist. Ich verstehe auch nicht, warum die Caster dieses vernichtende Urteil als Rundmail an alle ORF -Mitarbeiter verschickt haben. Man will mich offenbar fertig machen. Ich muss mich wehren. Deshalb bin ich beim Castingbüro im ORF -Zentrum eingebrochen und habe mir im Archiv sämtliche Beurteilungsbögen sämtlicher FM4- Kollegen besorgt. Und siehe da: Auch Grissemann wurde nicht gerade begeistert bewertet. Ich zitiere: »Christoph Grissemann ist unfreundlich, pummelig und verströmt im Casting menschliche Kälte. Er reagiert sehr langsam und ist unkreativ, verstockt und humorlos. Akte weitergeleitet an Monika Eigensperger, FM4 , mit dem dringenden Rat, ihn abzulehnen.« Ich habe den Beurteilungsbogen vergrößert und an die Wand im FM4- Foyer gehängt. Wer mich reizt, muss mit meiner Rache rechnen, und allen FM4- Kollegen sei das Glashausgleichnis ins Gedächtnis gerufen.
    16.3.
    Liebes Tagebuch, um es klar zu machen: Albert Einstein war kein Scientologe, sondern Scientist, Wissenschaftler. Sänger Beck hingegen ist Scientologe, wie seine Frau und seine Eltern auch. Lustig, da glaubt man, eine Slackerikone steht auf der Bühne, und dann entpuppt sie sich als Mitglied einer Karrieristensekte. Ist Marilyn Manson vielleicht aktiver Katholik? Und die zauberhafte Gustav vielleicht in führender Position bei Opus Dei, und sind »Chumbawamba« Zeugen Jehovas? Immer seltener hat man das Gefühl, dass die Realität mit der Realität übereinstimmt. Ö3 -Kollege Robert Kratky zum Beispiel ist seit Wochen schwer verkühlt trotz Actimel, und Paris Hilton war heim Frauenarzt, weil ihr Jungfernhäutchen einen leichten Riss hat. Aber wenn alles nur noch vorgegaukelt wird, kann man gar nichts mehr glauben. Wahrscheinlich sind die Hälfte aller muslimischen Terroristen Mitglieder der Katholischen Jungschar und George Bush ist Schiit. Und FM4 ist von allen der kommerziellste Sender, weil er mit dem Mäntelchen »alternative« versucht, Geld zu machen. Hm. Der Musiksender MTV spielt keine Musikvideos mehr und Nelson Mandelas Frau hat reihenweise Leute umbringen lassen. Aber was soll man schon erwarten von einer Welt, in der private Tagebücher öffentlich vorgetragen werden?
    Liebes Tagebuch, Attac ist eine börsennotierte Abteilung von DaimlerChrysler und Greenpeace eine hundertprozentige Tochter von Shell. Jörg Haider finanziert aus eigener Tasche das »Ernst-Kirchweger-Haus« und die Grünen sind eine Jugendorganisation der ÖVP . »Blumfeld« träumen davon, bei »Klingendes Österreich« aufzutreten, und Martin Blumenau hat die Mahatma-Gandhi-Medaille für besonders liebevollen Umgang mit Untergebenen bekommen. Rauchen verlängert das Leben und Vitamine machen impotent und lassen die Haut altern. Alles ist anders. Darwin war ein Scharlatan. Es stimmt das, was in der Bibel steht. Die Bibel wurde von einem Moslem geschrieben. Buddhisten sind aggressiv und haben auf Sri Lanka schon reihenweise Menschen in die Luft gejagt. Die Fernsehserie »Mac-Guyver« ist live und die Schwestern bei »Charmed« können wirklich zaubern. »Charmed« ist eine Doku. Ich hin so verwirrt, liebes Tagebuch. Bin ich wirklich Stermann und habe nur den Bart von Peter Rapp oder bin ich Peter Rapp? Und war deswegen noch nie Kandidat bei der »Millionenshow«, weil der Rechtsweg natürlich ausgeschlossen ist? Ich bin müde. Es ist alles so verwirrend. Ich werde mich betrinken, um endlich wieder einen klaren Kopf zu kriegen.
    18.3.
    Liebes Tagebuch, für die Regierung kommt's zurzeit knüppeldick. Die FPÖ wirft sich selbst aus der Partei raus und gründet sich auf Trümmern neu, sodass die Neugründung wieder einstürzt, man versteht es einfach alles nicht mehr. Wenn Jörg Haider eine Strategie hat, dann ist es eine furchtbar komplizierte. Aber schlimmer noch für die Regierung: Die Politaktivistin Elfriede Awadalla hat bei Armin Assinger die Million abgeräumt. Sie war eine der Donnerstagsdemonstrantinnen, sie hat als Dichterin Widerstandslesungen organisiert und jetzt die Million dem braven Kärntner Assinger aus der Hand gerissen. Das kann der Regierung nicht recht sein, wenn jetzt schon linke Agitatoren Quizmillionäre werden. Als Nächstes kommen die