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Speichelfaeden in der Buttermilch

Speichelfaeden in der Buttermilch

Titel: Speichelfaeden in der Buttermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann , Christoph Grissemann
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am Tag. Eine herrlicher und genussvoller als die andere. Ich bin ausgeglichen und entspannt. Stermann neben mir ist ein nervliches Wrack. Er hat aufgehört zu rauchen. Nach fast 25 Jahren. Klar, wenn man so lange orale Befriedigung in Form einer Zigarette bekam, und das plötzlich aufhört, ist das bestimmt ein Verlust. Stermann steckt sich stellvertretend etwas in den Mund, wie ein Baby, das seine ersten Zähne bekommt. Er steckt sich Stifte zwischen die Lippen, Radiergummis, Lineale, Radioantennen, die Arme von Plattenspielern, Salzstreuer, was halt gerade in der Nähe ist. Ich hab mir allerdings verbeten, dass er meinen Zeigefinger in seinen Mund steckt. Dafür hat er auch Verständnis gezeigt.
    Verblüffend einfach, mit dem Rauchen aufzuhören, liebes Tagebuch. Vor allem, nachdem ich mir auf die Unter- und die Oberlippe jeweils ein Nikotinpflaster gepickt habe. Sieht zwar doof aus, erfüllt aber seinen Zweck. Dass ich mir Grissemanns Zeigefinger in den Mund gesteckt habe, ist mir sehr peinlich. So etwas gehört sich nicht, das sehe ich ein. Aber hoffentlich sieht er auch ein, dass ich halt hin und wieder etwas zwischen den Lippen spüren muss. Wenn er mir vielleicht den kleinen Finger zur Verfügung stellen würde. Der ist halt kürzer, aber suggeriert immerhin eine schon halb gerauchte Zigarette. Ich hoffe natürlich, in wenigen Jahren ganz ohne orale Ersatzbefriedigung auszukommen. Nichtrauchen, also etwas nicht tun, kann ja eigentlich nicht so schwer sein.
    24.3.
    Liebes Tagebuch, all die leeren Sessel. Die Schreibtische, an denen niemand sitzt. Traurig, sehr traurig stimmt mich das. Diese Schnitzeljagd des Grauens hat scheinbar viele Opfer gefordert. Mehr als 20 Kolleginnen und Kollegen irren noch immer durch den Wienerwald, vielleicht werden wir sie nie wiedersehen. Dass Stermann und ich als Erste wieder im Funkhaus sind, haben wir meiner Intelligenz und Stermanns Taxifahrer-Orientierungssinn zu verdanken. Das Letzte, was ich von Thomas Edlinger gesehen habe, war sein tiefer Sturz in ein Dornengebüsch, während Fritzi Ostermayer mit dem Bauch in einem Höhleneingang steckte und sich nicht bewegen konnte. Wie Winnie the Pooh zappelte er hilflos, leider konnten wir alle ihm nicht helfen. Wortchef Pieper hielt sich verzweifelt an einem dünnen Zweig fest, unter ihm ein Abgrund, Claudia Czesch war hysterisch schreiend auf der Flucht vor roten Killerameisen, die schneller liefen als Claudia, und Clemens Haipl hat man vor lauter Zecken im Gesicht kaum mehr erkennen können. Ja, die alljährliche FM4- Schnitzeljagd ist genauso kindisch, wie grausam. Aber Chefin Eigensperger liebt nun mal Schnitzeljagden, wer nicht mitmacht, fliegt.
    Liebes Tagebuch, die arme Mirjam Unger hat ja diese panische Angst vor Eichhörnchen, seit vielen Jahren ist sie wegen dieser Angst in Behandlung, mit dem Ergebnis, dass die Angst sich in Panik und riesiges Entsetzen verwandelt hat. Durch großes Pech ist sie aber in einen hohlen Baum gefallen, der von einer Eichhörnchen-Großfamilie bewohnt wird. Sie kauert seit vielen Stunden blass in dem Baum, kalten Schweiß auf der Stirn, mit halb geöffnetem Mund und schreckgeweiteten Augen. Während Christian Davidek und Fred Schreiber von einer Spechtfamilie tyrannisiert werden und der arme Mathias Zsutty im Schlamm mit einer Wildsau ringt. Furchtbare Bilder, die ich im Kopf habe und wohl niemals vergessen werde. Über Grissemanns und meinen ersten Platz kann ich mich nicht freuen. Und der Pokal in Form eines Schnitzels bzw. das Schnitzel in Form eines Pokals, es bleibt mir im Halse stecken. Be afraid, honey. It's FM4 .
    26.3.
    Liebes Tagebuch, ich weiß noch nicht, wie ich stimmen werde. Ob ich für » FM4 neu« bin oder für » FM4 alt«. Diese neuen orangen Schals, ich weiß nicht, das ist doch eher so was Ukrainisches, aber als Jugendsendermoderator mit so einem Yuppieschal? Chefin Eigensperger will eine überzeugende Mehrheit für ihren neuen Kurs und die senderinternen Kritiker loswerden. Und auch Leute wie Stermann, Schreiber und Springenschmid, die Fraktion der Deutschtümelnden. Altlasten raus aus FM4 , und wir verordnen uns ein neues Erscheinungsbild, nämlich: lässig, jung und fesch. Der kluge Magister Edlinger hat angemerkt, dass die reine Umbenennung eines Senders ohne inhaltliche Veränderung von den Hörern zu Recht als Blödsinn erkannt würde. Und Menschen, die seit vielen Jahren FM4 machen, könne man laut Magister Edlinger auch nicht plötzlich lässig, jung und fesch

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