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Speichelfaeden in der Buttermilch

Speichelfaeden in der Buttermilch

Titel: Speichelfaeden in der Buttermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann , Christoph Grissemann
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auch, wo wäre der Anreiz? Bei jedem Piratensender in Irland kann man das Zehnfache verdienen, in Amerika verdienen Praktikanten von Indianer-Reservats-Radiosendern am Tag so viel wie wir hier im Monat, und in England kriegt man fürs Radiohören mehr als wir fürs Radiomachen. Sie sind alle so wenig englischsprachig, wie Ivan Rebroff Russe ist. Aber sie müssen so tun, weil Chefin Eigensperger glaubt, dass FM4 so internationaler und cooler klingt. Wie es den Kollegen mit ihrer Lebenslüge geht, danach fragt keiner.
    Liebes Tagebuch, Duncan Larkin zum Beispiel heißt eigentlich Dieter Bettlaken und kommt aus einer kleinen burgenländischen Gemeinde. Ein mit ihm befreundeter Winzer hatte einmal eine Affäre mit dem Butler von Prince Charles, das reichte schon, um ihn in den Augen von Chefin Eigensperger zum Briten zu machen. Der arme Dieter Bettlaken, bzw. ja jetzt Duncan Larkin, leidet von allen Englischsprachigen am meisten, weil er gar kein Englisch kann. In einem fünftägigen Crashkurs hat ein zwangsverpflichteter schottischer Tourist versucht, ihm die wichtigsten Grundbegriffe beizubringen. Aber der arme Duncan/Dieter tut sich mit Sprachen sehr schwer. Er steht jedes Mal schweißgebadet im Studio und versucht sich durch die Sendungen zu kämpfen. Es ist Angstschweiß, literweise.
    17.11.
    FM4 steckt mitten in den Weihnachtsvorbereitungen. Aus dem Funkhaus, das 24 Fenster hat, soll ein riesiger lebendiger Adventskalender werden. Eine Idee vom rührenden Wortchef Pieper. Jeden Tag wird ein Fenster geöffnet, in dem dann ein nackter Kollege mit Kerze auf dem Kopf erscheint. Der arme Kollege muss bis zum Heiligen Abend im Fenster stehen und den Vorbeigehenden zurufen: » FM4 wünscht frohe Weihnachten!«, und zweimal in die Hände klatschen. Wer nicht mitmacht, fliegt raus, heißt es aus der Chefetage. Jeder fürchtete sich davor, schon am 1. Dezember eingesetzt zu werden. Ärzte haben ausgerechnet: wenn man im Winter 24 Tage lang nackt in einem offenen Fenster steht, liegt die Überlebenschance nur bei 49%! Außerdem –warnen Feuerexperten – ist die Gefahr sehr groß, dass wegen der brennenden Kerzen das Haar Feuer fängt. Stermann brannte bei den Proben lichterloh. Das hat doch alles mit Radiomachen nichts mehr zu tun.
    Verdammt. Ich arme Sau habe die Acht gezogen. Das heißt, ich muss ab dem 8. Dezember für 16 Tage im offenen Fenster stehen. Ich weine, während ich dies schreibe. Diese Aktion ist so idiotisch, weil die Fenster alle in den Hof rausgehen, wo uns überhaupt niemand sehen kann. Der Einzige, dem wir frohe Weihnachten wünschen können, ist Brutus, der Ö1 -Wachhund, der im Hof angekettet den ganzen Tag wie ein Irrer bellt.
    Die Kerze wurde mir bereits vom Chefcontroller auf den Kopf geschnallt. Sie wiegt 22 Kilogramm und tropft wie eine Wahnsinnige. Wachs rinnt mir in Nacken und Augen. Ich sehe nichts mehr. Ich habe so Angst vor Weihnachten. Am 24. übrigens soll Gerald Votava als Christkind verkleidet im riesigen Dachfenster erscheinen. Grissemann, das arme Schwein, soll in dieser vertrottelten Inszenierung den Stern von Bethlehem geben. Der Österreicher wird, von einem Kran getragen, 100 Meter über Christkind Votava schweben und ihn mit einem Halogenscheinwerfer anstrahlen. Das hat doch alles mit Radiomachen nichts mehr zu tun.
    18.11.
    Heute Morgen wurden Äxte an die Mitarbeiter verteilt, um einen Christbaum aus dem Wald zu schlagen. Einige frustrierte Mitarbeiter haben versucht, sich mit der Axt selbst zu erschlagen. Der größenwahnsinnige Chefcontroller Blumenau will den größten Christbaum Österreichs vor dem Funkhaus stehen sehen. Der Baum soll mindestens so hoch sein wie der Millenniumstower. Als Kollege Jordan einwarf, solch hohe Bäume gebe es in Europa nicht, hatte er schon die harte Hand von Blumenau im Gesicht. Konkret ist der Auftrag, so viele Bäume übereinander zu stecken, dass diese protzige Größe erreicht wird. Mit kleinen orangefarbenen Zipfelmützen haben wir Mitarbeiter uns in den Wald begeben, um dort 150 Tannen zu fällen, die wir im Hof versuchen aufeinander zu stecken. Der Chefcontroller selbst hat 5000 riesige Weihnachtskugeln herstellen lassen, auf denen sein grinsendes Konterfei abgebildet ist. Das hat doch alles mit Radiomachen nichts mehr zu tun.
    Schrecklich. Furchtbar. Die schlimmste Vorweihnachtszeit, die ich jemals erlebt habe. Im Wald liegen Pi mal Daumen 20 Finger von FM4- Kollegen. Während unserer illegalen Waldrodungsaktion befanden wir uns in

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