Speichelfaeden in der Buttermilch
ständigen Angst lebe, hier in der Redaktion von seinem Kollegen Ostermayer beklaut zu werden, bewahrt Edlinger alles Wertvolle in seiner Unterhose auf: Kugelschreiber, Zigaretten, Kaugummi, Teebeutel, Schuhcreme und altes Weißbrot. Und eben den leider verschwundenen Zehneuroschein, den er heute unter polizeilichem Geleitschutz von der Bank abgehoben hat, um ein neues Leben zu beginnen; um sich endlich aus der Knechtschaft von FM4 zu befreien. Na ja – jetzt warten weitere fünf knüppelharte Jahre hier auf Herrn Edlinger.
9.11.
Liebes Tagebuch, ein Kollege von Ö3 war da. Er hat sich fürchterlich aufgeführt. Ich will keine Namen nennen, aber es war Robert Kratky. Er hatte acht weibliche Groupies dabei, blutjung, jünger sogar noch als die durchschnittliche FM4- Praktikantin, also nicht mal minderjährig. Unter dem Gegluckse der Ö3 -Schicksen klapste er allen FM4- Mitarbeitern gönnerhaft auf den Po, auch dem fast 60jährigen Fritz Ostermayer und dem alten Stermann. Tina 303 von »La Boum de Luxe«, die am Boden kauerte, hielt er für eine Sandlerin und steckte ihr 20 Euro in den Ausschnitt. Dann zog er sich seine Schuhe aus, italienische Schuhe aus reinem Kaviarleder, schon die Schnürsenkel seien mehr wert, als unser ganzer Alternativsender, krähte er unter dem beifälligen Lachen der Groupies. Er befahl dem armen Mathias Zsutty, ihm die Zehennägel zu schneiden. In Ermangelung einer Nagelschere musste Zsutty dem Ö3 -Star die Nägel akkurat abknabbern. Es war schrecklich, aber niemand traute sich, den erfolgreichen Radiokollegen in die Schranken zu weisen. Schließlich ist Robert Kratky in der ORF -Hierarchie etwa 20.000 Stufen über jedem FM4- Mitarbeiter angesiedelt. Also biss Zsutty angewidert in den Ö3 -Fuß. You're not at home, you're at work, baby.
Liebes Tagebuch, mit hängendem Kopf macht Thomas Edlinger ununterbrochen neuen frischen Kaffee für den Starkollegen, aber nie ist Kratky zufrieden. »Nicht frisch genug! Ich will einen frischen Kaffee!«, schreit er den zitternden Edlinger vom »Sumpf« an. Alle anderen müssen sich in einer Schlange anstellen, um ihn um ein Autogramm zu bitten. Den Mädchen schreibt er auf die Brüste, den männlichen FM4- Mitarbeitern auf die Stirn. Durchs Fenster sieht man unterdessen Wortchef Pieper das neue Cabriolet von Kratky waschen. So ein Auto haben wir alle noch nie gesehen. Gegen Kratkys Cabrio wirken alle anderen Cabrios wie Kellerabteile oder Gefängniszellen. Das Auto hat mindestens eine Milliarde Euro gekostet. Unser FM4- Dienstwagen sieht dagegen wie ein Dreirad aus. Kein Wunder, es ist ja auch ein Dreirad.
10.11.
Liebes Tagebuch, nach unten treten und nach oben buckeln, so lautet das Credo aller Mitarbeiter bei FM4 . Mustergültig vorgemacht wird uns das von Chefcontroller Blumenau. Er öffnet hier im Funkhaus in der Argentinierstraße der Chefin Eigensperger bereits die Tür, wenn die gerade in ihrem Grinzinger Villenviertel ins Auto steigt. Natürlich steht er mit ausgestreckter Hand da, bereit, der Chefin die Hand zu schütteln, wenn sie eine Stunde später eintrifft. Den kleinen FM4- Mitarbeitern hingegen stiehlt er die Pausenbrote und schikaniert, wo er nur kann. Gestern aber hat das Schicksal Rache geübt. Als er Kollegen Trischler aus der Redaktion trat, weil ihm dessen Pausenbrot nicht schmeckte, knallte er mit seinem Fuß versehentlich gegen die Wand. Er schrie laut auf und ließ sich auf ORF -Kosten mit einem Privathubschrauber ins AKH fliegen. Hier stellte man tatsächlich eine leichte Prellung am kleinen Zeh fest. Die Stunden, in denen der grausame Chefcontroller weg war, waren die schönsten seit Bestehen des Senders. Perestroika und Glasnost waren ein Scheiß dagegen. Leider vergingen die Stunden wie im Flug, und als wir den Hubschrauber wiederkommen hörten, wussten wir: Das wird schrecklich.
Liebes Tagebuch, seit Blumenaus Fußverletzung muss Stefan Trischler ihn während der Arbeitszeit huckepack tragen. Blumenau gibt ihm die Schuld, weil der Unfall ja schließlich passierte, als er ihn treten wollte. Chefcontroller Blumenau trägt eine schwarze Reiterkappe und hält eine Gerte in der Hand. Hin und wieder steckt er dem armen Trischler ein Stück Zucker in den Mund – aber nicht, um ihm eine Freude zu machen, sondern weil er weiß, dass Trischler Diabetiker ist. In Blumenaus Dienstvideorecorder liegen Aufzeichnungen von Dressurwettbewerben. Er sitzt auf Trischler und stellt mit ihm alle Szenen nach. Schneller Trab, leichter Trab,
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