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Speichelfaeden in der Buttermilch

Speichelfaeden in der Buttermilch

Titel: Speichelfaeden in der Buttermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann , Christoph Grissemann
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immer wird der klassische FM4- Mitarbeiter mit Lebensmittelkarten bezahlt (die man seit über 50 Jahren nicht mehr einlösen kann) und mit Nylonstrumpfhosen. Redakteure, die am Wochenende Sendungen machen, bekommen zusätzlich amerikanische Kaugummis. FM4- Mitarbeiter erkennt man daran, dass sie noch immer in ausgebombten Wohnungen leben. Wenn Fritz Ostermayers Frau nicht das Knopfgeschäft ihrer Eltern übernommen hätte, müsste er nicht nur am Abend betteln gehen. Ostermayers Frau backt Plätzchen aus Kartoffelschalen. Er selbst pflanzt Tabak an und hat angekündigt, morgen mit dem Handwagen zu einem Bauern aufs Land zu fahren, um die Eheringe gegen zwei Steckrüben einzutauschen.
    23.11.
    Kollege Stermann und ich sind sehr stolz, weil wir von einer unabhängigen Jury in Andorra den Staatspreis für Radiounterhaltung bekommen haben. Neben uns hat sich für den Radiopreis noch der 84jährige Hobbykarikaturist Hartmut Pechlahner beworben, der aber schlüssigerweise disqualifiziert wurde, weil er ja nicht beim Radio arbeitet. Es ist der erste und – ohne FM4 nahe treten zu wollen – sicher auch der letzte Preis, den FM4 jemals gewinnen wird. Eigentlich müsste das unsere Position im Sender stärken, aber das Gegenteil ist der Fall. Die vor Neid zerfressenen Kollegen Votava und Haipl haben heute in der Kantine versucht, uns zu vergiften, indem sie uns einfach das Kantinenessen vorsetzten. Das hat doch alles mit Radiomachen nichts mehr zu tun.
    Ich bin sehr stolz. In Anerkennung unseres Preises hat uns Senderchefin Eigensperger heute vor versammelter Mannschaft jeweils eine Erdnuss überreicht, einen Schmatz auf die Stirn gegeben und uns anschließend mit einem sanften Po-Klaps an die Arbeit zurückgeschickt. Grissemann stolziert seitdem wie ein Pfau durch die Redaktionsräume. Während ich diese Zeilen schreibe, prügeln die Kollegen Votava und Haipl, beide übrigens meilenweit von jedem Radiopreis der Welt entfernt, den erfolgreichen Grissemann windelweich. Ich nutze diese Aufregung, um auch Grissemanns Erdnuss zu vertilgen. Das hat doch alles mit Radiomachen nichts mehr zu tun.
    24.11.
    Die Gesundheitspolizei hat gestern die ORF -Kantine unter Quarantäne gestellt, nachdem mehrere tote Ratten gefunden worden sind. Die Ratten sind an der Gulaschsuppe elendiglich zugrunde gegangen. Die Kantinenbetreiber zeigten sich uneinsichtig und überrascht darüber, dass ihr Essen solche Auswirkungen hat. Sie selber allerdings bringen ihr Essen von zuhause mit, was uns immer schon verdächtig vorkam. Aus den Bratwürsten kriechen grüne Würmer, der Salat bewegt sich, und die Kartoffeln zerfallen zu schwarzem Schlamm, sobald man sie berührt. Aus den Fischen steigt eine gelbe Säure auf. Jeder Klebstoff ist nährstoffreicher als die ätzende Brühe, die sich Tagessuppe nennt. Das Gesundheitsamt hat die beiden Köche festgenommen und direkt nach Den Haag überführt, wo sie in einem Schnellverfahren vor dem Internationalen Gerichtshof ihrer gerechten Strafe entgegenschlottern. Das musste mal gesagt werden, auch wenn das mit Radiomachen überhaupt nichts zu tun hat.
    Wir FM4- Mitarbeiter sind die einzigen ORF -Mitarbeiter, die trotz Quarantäne weiterhin in der Kantine essen müssen. Wir klettern über die Absperrungen und dann durchs Klofenster an den Schildern mit den Totenköpfen vorbei direkt in die Küche. Hier habe ich bei den Milchflaschen etwas Spektakuläres entdeckt. Auf den Frischmilchpackungen sind Fußball- WM -Sammelbilder angebracht mit den Konterfeis von Ernst Happel, Gerhard Hanappi und Sepp Herberger. Tatsächlich ist die Frischmilch am 21. Juni 1954 abgelaufen! Auf einem Schwarzbrot fand ich eine Nachricht von einem Soldaten, der 1866 bei der Schlacht von Königgrätz dabei war; im Quark hat man eine Haarlocke von Robespierre gefunden! Das hat doch alles mit gesunder Ernährung nichts mehr zu tun – und mit Radiomachen sowieso schon lange nicht mehr.
    26.11.
    Liebes Tagebuch, wie du ja weißt, werden nächstes Jahr der Brandenburger ORB und der Berliner SFB fusionieren. Der Sender wird dann RBB heißen. Rundfunk Berlin-Brandenburg. RBB , so kürzt sich allerdings auch die Rinderbesamungsanstalt Brandenburg ab. Was den Senderchef Lehnert auf eine verhängnisvolle Idee brachte. Mit dem Leiter der Rinderbesamungsanstalt vereinbarte Chef Lehnert eine Kooperation: Falls es einen Rinderengpass geben sollte, schickt Radio Eins kräftige, potente Redakteure in Brandenburgs Ställe. Ich erspare mir jetzt Details,

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