Speichelfaeden in der Buttermilch
weit aus, dass sie abbricht. Daran kann es also nicht liegen, dass wir wie sprechende Pusteln aussehen. Der Hautarzt hat auch eine ganz andere Diagnose gestellt: Ekel. Wir ekeln uns einfach vor der Arbeit bei FM4 . Und dagegen gibt's nichts in der Apotheke, dagegen hilft nur die Kündigung, die aber durch Knebelverträge verunmöglicht wird. Also hat der liebe Herr Doktor eine andere Behandlungsmethode entwickelt. Am FM4- Eingang steht jetzt ein großes Fass mit Cortisonsalbe, in das wir vor Arbeitsbeginn mit dem ganzen Körper eintauchen müssen. An dem Fass ist ein großes Warnschild angebracht: »Be afraid – FM4 !«
14.11.
Liebes Tagebuch, FM4 ist ein Alternativ-Sender. Das heißt, hier arbeiten Menschen, die keine andere Alternative haben, wenn sie beim Radio arbeiten wollen, bzw. wenn sie überhaupt arbeiten wollen. Das weiß natürlich die Chefetage, und deshalb werden FM4- Mitarbeiter auch schlechter bezahlt und behandelt als Zwangsarbeiter. Es gibt nur einen Kollegen, der es fast geschafft hätte, auf dem freien Arbeitsmarkt unterzukommen: Praktikant Albert Farkas. Der kochbegabte Albert war in der engeren Wahl für einen Aushilfsjob in einer niederösterreichischen Melkkolonne. Natürlich wurde er dann nicht genommen, aber immerhin war er in die engere Wahl gekommen! Auf jede freie Stelle in Österreich und Osteuropa bewerben sich die Kolleginnen und Kollegen. Thomas Edlinger ist sogar extra zu einem Vorstellungsgespräch nach Wladiwostok gefahren. Die haben Leute gesucht, um Sümpfe freizulegen, und er versuchte, die Chefs dort davon zu überzeugen, dass er Berufserfahrung habe, weil er bei FM4 »Im Sumpf« moderiert. Aber schon bei der Erwähnung des Namens » FM4 « schmissen ihn die Russen raus. FM4 – the only alternative – aber nur für die Mitarbeiter.
Liebes Tagebuch, Gerald Votava ist sehr geknickt. Er hat sich im Prater um einen Job als lebende Dose beworben. Aber der Dosenschießstandbesitzer hat sich für sechs Kollegen von Radio Wien und vier von Krone Hitradio entschieden. Wir versuchten, ihn wieder aufzubauen: »Ist doch nicht so schlimm, Gerald, ist doch auch kein Traumjob im klassischen Sinn, beworfen zu werden und umzufallen!« »Natürlich nicht,« schluchzte er, »aber immerhin besser als bei FM4 !« Tja, da sind uns dann die Argumente ausgegangen.
15.11.
Liebes Tagebuch, es ist absurd. Da machen wir Jahr für Jahr Aktionen für »Licht ins Dunkel«, dabei hätten wir selbst es am nötigsten, Spenden zu bekommen. Das gibt sogar die Caritas zu. Aber weil wir ja scheinbar auch irgendwie zum ORF gehören, dürfen wir keine Almosen kriegen, von wegen: Rechtsweg ausgeschlossen. Außerdem, so heißt es, kriegen wir ja eh vom ORF Almosen. Laut eines Berichts der Welt-Nothilfe rangiert FM4 weltweit auf Platz acht, was große Not betrifft. Wir haben zum Beispiel seit acht Jahren nur einen einzigen Bleistift für 50 Mitarbeiter. Durch das ewige Anspitzen ist er natürlich weg. Weggespitzt. Wir schreiben seit vier Jahren mit dem Anspitzer. Wir haben eine Plastik-Kinder-Schreibmaschine, die uns von einem ukrainischen Kinderheim geschenkt wurde. Überhaupt ist es immer wieder schön, dass uns heimlich von Hilfsorganisationen kleine Spenden erreichen. Ein alter Ofen hier, ein Kasten aus Orangenkisten da. Trotzdem sind die Zustände bei FM4 katastrophal, aber wir dürfen nie fragen: »Ist da jemand?« Für FM4 ist niemand da. Na ja, you're not at home, you're at work, baby.
Liebes Tagebuch, das Dach ist nicht bloß undicht, es ist schlicht und einfach weg. Der Wind pfeift durch die Plastikplanen, die wir als Mauerersatz aufgehängt haben. Wir hatten das letzte Mal Strom, als Bruno Kreisky als Kanzler angelobt wurde – und das letzte Mal fließendes Wasser, als Triest noch zu Österreich gehörte. Bei FM4 ist es so kalt, dass, wenn man spuckt, die Spucke in der Luft gefriert und als Brocken auf die Erde fällt. Ich fürchte, selbst wenn man uns helfen wollte: so viel Licht gibt es gar nicht, um unser Dunkel aufzuhellen. Aber trotzdem habe ich mich gefreut, als das Care -Paket aus Äthiopien kam.
16.11.
Liebes Tagebuch, dicke Luft bei FM4 . Duncan Larkin, Stuart Freemann und die anderen »Englischsprachigen« wollen bei diesem Spiel nicht mehr mitmachen, bei dieser großen Medienlüge. Sie sind selbstverständlich allesamt Österreicher, bei FM4 arbeitet kein einziger Engländer, kein Amerikaner, kein Kanadier, kein Schotte, und es hat auch noch nie ein Ire den Sender betreten. Wieso
Weitere Kostenlose Bücher