Speichelfaeden in der Buttermilch
weil es einfach zu widerlich ist. Als Gegenleistung wird die Besamungsanstalt mit dem Radio Eins-Programm beschallt, um so neue Hörerkreise zu erschließen. Das darf doch alles nicht wahr sein.
Als Ersten hat es wieder mal mich getroffen. Ich werde morgen von einem Viehtransporter abgeholt, mit verbundenen Augen in die Prignitz geschafft und dort in verschiedenen Ställen eingesetzt.
1.12.
Liebes Tagebuch, ökonomische Zwänge führen bei FM4 zu ökologischem Umdenken. Nachdem uns wiederholt der Strom abgeschaltet wurde, haben wir jetzt im Gebäude auf Wind- und Wasserkraft umgerüstet. Alle paar Meter stehen jetzt mannshohe Windräder, die wir selbst gebaut haben – aus Altmetall und gefährlichem Sondermüll. Tatsächlich haben wir es geschafft, dass sie funktionieren. Würden. Wenn es Wind gäbe. Es reicht einfach nicht, dass die jungen Mitarbeiter vor den Rotorblättern stehen und blasen. Den Kollegen platzen die Adern an den Schläfen, aber heraus kommen trotzdem 0 Kilowattstunden Strom. Es ist zum Verzweifeln.
Liebes Tagebuch, Wasserkraft: saubere und erneuerbare Energie, klingt schön, aber wie soll das Indoor funktionieren? Noch dazu, wo uns vor Jahren das Wasser abgestellt wurde? Ostermayer, Edlinger und die grobschlächtigen Kollegen von »Projekt X« haben die unteren drei Etagen des FM4- Trakts in vier Wochen zu einem großen Auffangbecken für einen Stausee umgebaut und aus Altpapier und Kompost ein handbetriebenes Wasserkraftwerk gebaut. Aber: das Wasser fehlt. Im Becken sammeln sich zwar Blut, Schweiß, Tränen und Bierreste von den Kollegen, aber höchstens zwei Meter tief. Das reicht nicht. Wer also nicht vor den Windrädern steht und bläst, muss hier unten spucken. Einige haben so viel Körperflüssigkeit abgegeben, dass sie in einer Art Wachkoma liegen.
2.12.
Liebes Tagebuch, Zahnärzte sterben statistisch gesehen früher, weil sie bei ihrer Arbeit ständig in angsterfüllte Gesichter blicken müssen. So gesehen, müssten Zahnärzte FM4- Mitarbeiter bei weitem überleben, denn wir blicken in keine angsterfüllten, sondern panische Kollegengesichter. Edvard Munchs »Der Schrei« wirkt gegen unseren Praktikanten Albert wie ein romantisch verklärter »don't-worry-be-happy«-Typ. Mathias Zsutty ist noch depressiver. Er ist schwärzer gekleidet, als es Johnny Cash je war. Cash war gegen ihn ein bunter Paradiesvogel, nicht nur modisch, auch seelisch. Am traurigsten sind bei FM4 die Kollegen der »Morning Show«, weil sie mit Tränen in den Augen fröhlich sein müssen. Gute Laune verbreiten trotz Angst im Nacken. Denn hinter ihnen steht während der Sendung der Fürst der Finsternis, Chefcontroller Blumenau.
Liebes Tagebuch, gegen Chefcontroller Blumenau strahlt Ötzi menschliche Wärme aus. Nicht der DJ , sondern der Eismann. Ich kann mich aber auch daran erinnern, wie einmal der DJ bei FM4 war. Er wollte scheinbar seinen Burgersong promoten und war voll auf irgendeiner Partydroge. Als Blumenau das Studio betrat, stockte der DJ mitten im Satz und begann mit Angstschweiß auf der Stirn Mozarts Requiem zu summen. Blumenau nennt seine beängstigende Ausstrahlung »natürliche Autorität«. Na ja, im Fall des dicken Tiroler DJ s fand ich das eigentlich ganz gut, denn dessen Gesang macht mir fast noch mehr Angst als der Fürst der Radiofinsternis.
3.12.
Liebes Tagebuch, bald beginnt ein neues Jahr. Man blickt zurück. Auch wir bei FM4 lassen das vergangene Jahr jetzt noch einmal Revue passieren. Wir haben zum Beispiel die Hörerzahlen verzehnfacht, indem wir an die offizielle Zahl eine Null hängten. Grund zum Feiern also. Wir Mitarbeiter haben im Gegensatz zum Vorjahr 50% Personalkosten eingespart, ein neuer ORF -Rekord, während Chefin Eigensperger und Chefcontroller Blumenau ihre Ausgaben um 200% gesteigert haben, auch Rekord. Zwei Gründe mehr zu feiern. Aus diesem Grund haben die Chefs Hummer und Sekt ins Funkhaus kommen lassen. Die Mitarbeiter stehen um den Tisch herum, an dem Eigensperger und Blumenau sitzen, und prügeln sich um die Schalen. In die leeren Sektflaschen füllen sie Wasser, das – mit den Sektrückständen vermischt – zumindest erahnen lässt, wie der Sekt schmeckt.
Liebes Tagebuch, Kollege Andreas Schindler hat mir erzählt, dass er einmal nachgerechnet hat, wieviel er im vergangenen Jahr gearbeitet hat: er war 361 Tage im Funkhaus, im Schnitt arbeitet er 19 Stunden pro Tag, exklusive Pausen, wobei »Pausen« auch solche Momente sind, in denen er atmen muss oder
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