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Speichelfaeden in der Buttermilch

Speichelfaeden in der Buttermilch

Titel: Speichelfaeden in der Buttermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann , Christoph Grissemann
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mumienhaft alterslos, aber irgendwo zwischen 55 und 85 angesiedelt. »Vorschläge?«, fragte Eigensperger in die Runde der müden Gesichter. Chefcontroller Blumenau regte an, man könne doch prophylaktisch schon mal Nachrufe für die Schublade schreiben. Das habe man beim Papst auch gemacht. Der Vorschlag wurde wegen Geschmacklosigkeit abgelehnt. Man einigte sich nach erbitterter Diskussion darauf, für die drei älteren Herren ein eigenes Weihnachtsfest in einer tschechischen Kuranstalt zu organisieren. Als Geschenk werden Stützstrümpfe, Wundsalben und Gehhilfen überreicht.
    Ich weiß nicht, wer das angeordnet hat, aber immer, wenn die Kollegen Freeman, Larkin und ich auf den Gängen in den FM4- Redaktionsräumen jungen Mitarbeitern begegnen, knien diese nieder, falten die Hände, schließen die Augen und singen: »Ich hab Respekt vor schlohweißem Haar.« Diese dumme STS -»Großvater«-Hymne hat auch schon mal einer angestimmt. Mir ist das unangenehm, fühl ich mich im Kopf doch noch recht jung. und der Atem reicht auch noch locker, um die 30 Meter vom LiveStudio zum WC zurückzulegen. Dass ich beim FM4- Weihnachtsfest als Weihnachtsmann gehen soll, hat mich gefreut. Auf die Frage, wo ich die Verkleidung herbekomme, haben Frau Unger und Herr McGill losgeprustet und gemeint: »Gesichtsmaske ist nicht notwendig, ein roter Morgenmantel reicht.« … Ich bin hochgradig verunsichert.
    19.12.
    Liebes Tagebuch. Im Ranking der Berufe mit den schlechtesten Imagewerten steht FM4- Redakteur an 256. Stelle. Ein katastrophales Ergebnis, wenn man bedenkt, dass zum Beispiel der klassische Crackdealer auf Platz 217 zu finden ist. Selbst der politisch oder religiös motivierte Selbstmordattentäter hat es vor uns in die Liste geschafft. Wir sind Letzte geworden. Zusätzlich wurde bekannt, dass die neuen FM4- Plakate, die vor Monaten in die Stadt geklebt worden sind, Angst vor allem bei Kindern und Schwangeren auslösen. Die abgebildeten FM4- Hörer verfehlten ihre Wirkung vollkommen. Es kam zu einer bedenklichen Anhäufung von Epilepsie-Anfällen, plötzlicher schmerzhafter Übelkeit und Nasenbluten bei vorbeispazierenden Passanten. Was tue ich hier? Ich habe Angst.
    Nach Lektüre der niederschmetternden Studie hat die blass gewordene Senderchefin Eigensperger sofort zum Megafon gegriffen und ein Millionen Dezibel starkes »Image aufpolieren, aber zack-zack!« ins Großraumbüro geplärrt. Was genau damit gemeint ist, erfuhren wir in der internen Mitteilung, die uns Chefcontroller Blumenau – übrigens grotesk als Mickey Mouse verkleidet – um die Ohren schlug: Alle Redakteure müssen ab sofort verkleidet als Märchen- oder Zeichentrickfigur auf die Straße treten. Auch im Büro müssen Verkleidung und Maske anbehalten werden. Dieser ganze lächerliche Mist soll sympathisch und freundlich auf die Menschen wirken. Gerlinde Lang muss als Bugs Bunny durch die Straßen hoppeln, Fred Schreiber muss den Hinkelstein als Obelix auch beim Moderieren am Rücken tragen, und ich selbst schwitze ganz schön in meinem rosaroten Schweinchen-Dick-Kostüm. Bizzarer geht's nicht mehr, liebes Tagebuch: Senderchefin Eigensperger thront als prächtiges Einhorn auf ihrem Chefsessel, während der arme Kollege Grissemann als trauriges Bambi auf allen Vieren durch die Redaktion keucht. Das ist doch alles nur ein Traum, oder?
    20.12.
    Liebes Tagebuch, die soziale Ächtung ausnahmslos aller FM4- Leute nimmt bedenkliche Formen an. Eine Studie hat den FM4- Redakteur als Beruf mit mieseren Imagewerten als den des Menschenschleppers oder Serienmörders ausgewiesen. Auf der Straße spotten uns Kinder aus, selbst Polizisten bespucken uns. Kollege Stermanns Kopf wurde gestern in der Kantine von einer weiblichen Reinigungskraft in den Gulaschtopf getaucht. Was haben die Leute nur gegen uns? Um die öffentliche Stimmung gegenüber FM4- Mitarbeitern zu verbessern, sollen wir uns ab jetzt an die goldene Pfadfinderregel – jeden Tag eine gute Tat – halten.
    Das gefällt uns. Kollegin Mirjam Unger bemalt, während ich diese Zeilen schreibe, gerade Steine mit schwererziehbaren afghanischen Senioren; der liebe Herr Edlinger von der Büchersendung liest im Blindenheim Baden aus dem Naddel-Schmöker vor, und meine Wenigkeit begleitet heute Abend Diabetespatienten ins Zucchero-Konzert … Hoffentlich wird mir das nicht wieder als zynisch ausgelegt. Na ja. Ich bin guter Hoffnung.
    Meine Fresse. Menschlichkeit hin oder her, soziales Engagement schön und gut –

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