Speichelfaeden in der Buttermilch
angekündigt, und viele der jüngeren Kollegen hatten sich wirklich gefreut. Alle standen wir am Tor, Weihnachtslieder singend – und dann kam ein Pizzabote, der auf indisch irgendetwas Abfälliges nuschelte. Der Pizzadienst heißt »Second Mouth«; sie verkaufen nur gebrauchtes Essen. Und so haben wir dann bei der Weihnachtsfeier kalte, abgenagte Pizzaränder auf den Schreibtischen gehabt. Das Einzige, was weihnachtlich wirkt, ist der miefige Stallgeruch im Funkhaus. Es riecht nach Schweiß und Vieh, weil wir die Hälfte des Gebäudes an eine polnische Gänsemästerei vermietet haben.
Liebes Tagebuch, rührend. Elisabeth Scharang hat einen Stern auf den Besenstiel gesteckt. Der Stern von Bethlehem. Den Stern hat sie im Altpapier von Radio Wien gefunden, wir haben ja schon seit Jahren keine Zeitschriften mehr. Zu teuer und lenkt nur von der Arbeit ab, heißt es. Blumenau kann einem wirklich alles vermiesen. Ich denke, er will unsere Weihnachtsstimmung gezielt zerstören, weil er ja nicht an Gott glaubt, sondern nur an den Teufel. Ich wette, wenn der Teufel einen Sohn hätte, der im Nachbarstall auf die Welt gekommen wäre, wir hätten hier seit Monaten ein rauschendes bacchisches Fest. Aber so? Na ja, was soll's. Warum sollte unsere Weihnachtsfeier etwas mit Weihnachten zu tun haben? Die Arbeit bei FM4 hat ja mit Radiomachen auch nichts zu tun.
14.12.
Liebes Tagebuch, wir müssen jeden Tag Advent feiern, und zwar: die Ankunft des Herrn Chefcontroller. Blumenau ist wütend und fühlt seine Autorität untergraben durch die Feierlichkeiten rund um das Jesuskind. Er duldet keine Götter neben sich. Deswegen hat er uns aufgetragen, eine Art Gegenbibel und Gegenweihnachtsgeschichte zu verfassen: das, wie er sagt, »Neueste Testament«. Der Begriff »Hofberichterstattung« trifft bei diesem Text nicht zu, weil das viel zu untertrieben klingt. Wir müssen Blumenau zu einem Gott machen. Alleine seine Geburt umfasst bis jetzt 3000 Seiten. Eine kurze Zusammenfassung: Blumenau gibt Gott die Erlaubnis, ihn auf die Erde zu setzen, er erblickt das Licht der Welt im Raum Salzburg, 2500 heilige Könige kommen ihn zu preisen, in dem Stall stehen Millionen von Schafen und Kühen, Maria ist Marlene Dietrich, die Krippe ist ein französisches Himmelbett, er ist so schön, dass es trotz Nacht hell wird. Uns allen ist übel bei soviel Lobhudelei.
Liebes Tagebuch, unser Vater im Chefcontrollerbüro, geheiligt werde dein Name. Liebe deinen Nächsten nicht, sondern nur den Chefcontroller. Ich komme mir vor wie im Irrenfunkhaus. Und Blumenau ist nie der liebende, mitfühlende Gott, sondern immer nur der Strafende, wir nennen ihn intern nur noch »the living Fegefeuer«. Wenn einer von uns Mitarbeitern bei der Bibelerstellung nicht demütig genug den Chefcontroller glorreich beschreibt, wird er von Blumenau eigenhändig nicht ans, sondern ins Kreuz geschlagen. Es ist wirklich das Allerschlimmste, wenn Atheisten Göttlichkeitkeit in sich spüren. Unklar ist noch, wie man die Religion nennen soll – Blumismus oder Chefcontrollertum.
15.12.
Liebes Tagebuch, ich fürchte mich vor dem 24. Dezember, denn da gibt's Iltis. Roh. Statt eines Weihnachtsbratens. Der Iltis wird in der Musikredaktion gehalten und gemästet. Es stinkt dermaßen im ganzen Funkhaus, dass man vor lauter Ohmacht kaum mehr zu Potte kommt. Außerdem ist der widerliche Nager aggressiv bis in die Augen. Der ungeduldige und ewig hungrige Blumenau hat schon mal probehalber in den Iltis reingebissen, was den nicht unbedingt freundlicher werden ließ. »Hm, lecker Iltis«, sagte der Chefcontroller mampfend und entzückt. Letztes Jahr gabs Stinktierragout – unser Weihnachten riecht, aber anders als auf Weihnachtsmärkten und an Punschständen. Unser FM4- Punsch ist die reinste Kloake, nach altem Blumenau-Rezept wird unser Punsch gemacht aus geronnener Schafsmilch, Fernet und Rindermagensäure. Bei Erhitzung entstehen so giftige Dämpfe, dass der Iltis jault. Was hat das alles noch mit Weihnachten zu tun?
Liebes Tagebuch, der Fleischfresser Blumenau hat uns mit Keksen aus Wurst überrascht. Sterne, Monde, Glocken und Krippen aus Fleischwurst. Und auch der Adventkalender ist, sagen wir mal, originell. Er hat den Kühlschrank in 24 Fächer aufgeteilt. Hinter jedem Türchen liegt ein Stück Fleisch, hinterm 24. wahrscheinlich wieder wie im vergangenen Jahr ein Braten, letztes Jahr war's ein Eichhörnchenbraten, den sich Blumenau ganz ins sabbernde Maul gesteckt hat und unzerkaut
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