Speichelfaeden in der Buttermilch
verkauft, um sich davon Kokain zu kaufen. Zusätzliche Hiobsbotschaft: die Cat Stevens-Platte ist völlig zerkratzt.
Liebes Tagebuch, in einem Crashkurs lernen wir Mitarbeiter singen und musizieren, weil wir ab jetzt in den Sendungen selbst Musik machen müssen. Aus Unkonzentriertheit habe ich mit Trommel und Trompete die DDR -Hymne gelernt (was völlig sinnlos ist, die haben wir ja auf Platte), während Grissemann inzwischen perfekt »Morning Has Broken« intonieren kann. Man erreicht beim Moderieren kaum mehr das Mikrofon, weil man sich durch Berge von Beschwerdebriefen kämpfen muss.
5.1.
Liebes Tagebuch, aus Geldknappheit kommen seit Monaten keine Tageszeitungen oder aktuelle Magazine in die Redaktion. Internet und Fernsehen hatten wir sowieso noch nie. Auch Radios gibt es keine auf den Schreibtischen – »weil wir ja selbst eins sind«, heißt es in einer internen Mitteilung. Das heißt, wir sind von jeder Information abgeschnitten, was es vor allem für den aktuellen Dienst nicht leichter macht. Die stündlichen Nachrichten sind eine Mischung aus Altpapier und Vermutungen. Aber immerhin hat FM4 jetzt endlich einen Praktikanten bekommen, einen 74jährigen Analphabeten aus Chile. Was Jüngeres und Ausgebildeteres haben wir auf dem Praktikantenstrich nicht bekommen. José sitzt den ganzen Tag am Boden und raucht. Hilfe ist er keine, aber er stört eigentlich auch nicht. Der sympathische Nichtsnutz furzt nur manchmal so laut, dass es in den Sendungen zu hören ist.
Liebes Tagebuch, José pflanzt am gesamten Radiogelände Koka-Pflanzen und verdient mit illegalen Drogengeschäften viel mehr Geld als wir. Außerdem hat er heute zwei Rinder mitgebracht. Jetzt haben wir drei Praktikanten. Die Rinder sind eigentlich sogar bessere Praktikanten als José: immerhin stehen sie den ganzen Tag am Kopierer. Leider stehen sie da nur.
Heute war Tag der Offenen Tür bei FM4 . Mit anderen Worten: Heute war gar nix los. Das Einzige, was durch die Tür kam, war eine Mücke. Auf Anweisung der Chefin mussten wir freundlich zu ihr sein. Wir zeigten ihr das Livestudio, das Krisensitzungszimmer und ein leeres Blatt Papier, das Gästebuch. Dann ließ sich jeder von uns höflich stechen. Chefin Eigensperger war zufrieden, letztes Jahr war gar keiner da. Es geht also aufwärts.
6.1.
Liebes Tagebuch, ich bin entsetzt. Die hochschwangere FM4- Putzfrau musste ihr Kind während der Arbeitszeit auf die Welt bringen. Sie hatte eh nur ein paar Stunden für die Entbindung frei haben wollen, aber auch das wurde ihr von der unmenschlichen Geschäftsführung untersagt. Während sie staubsaugte, gebar sie einen 52cm großen, kerngesunden Jungen, der auf Befehl des Chefcontrollers auf den Namen Blumenau getauft wurde. Der kleine Blumenau ist der Liebling der Redaktion. Er liegt auf dem Staubsauger und schläft trotz des Höllenlärms. Zur Geburt wurde ihm von Chefin Eigensperger ein FM4- Aufkleber auf die Stirn gepickt. In zwei, drei Wochen, so hat der Chefcontroller verkündet, wenn der Kleine aus dem Gröbsten raus ist, soll er seiner Mutter beim Putzen zur Hand gehen und so einfache Tätigkeiten wie Kaffeeholen ausführen. Man könne, so der große Blumenau, nicht früh genug in die Arbeitswelt eingeführt werden. Tja, you're not at home, you're at work, baby.
Liebes Tagebuch, vor dem Funkhaus stehen Hunderte UNICEF -Demonstranten. Bei Kinderfreunden hat FM4 jetzt wohl endgültig jeden Kredit verspielt, vor allem, nachdem Chefcontroller Blumenau den kleinen Blumenau aus dem Fenster gehalten hat bei den eisigen Temperaturen. Merkwürdigerweise scheint der Neugeborene aber große Zuneigung zu unserem tyrannischen Chefcontroller zu hegen. Zumindest tut er so. Wahrscheinlich schleimt das Baby aber nur; früh übt sich, was ein opportunistischer FM4- Mitarbeiter werden will.
7.1.
Liebes Tagebuch, der kleine Blumenau, der Sohn unserer Raumpflegerin, ist jetzt drei Tage alt und hat das FM4- Gelände noch nicht verlassen. Was für ein entsetzlicher Start ins Leben! Ein Team von Entwicklungspsychologen ist da und missbraucht den Kleinen mit Billigung der FM4- Chefetage für ein schreckliches Experiment: Wie entwickelt sich ein neugeborenes Kind in einer menschenverachtenden Umgebung? In einem sozialen Klima, das von Abweisung und Erniedrigung geprägt ist? Also bei FM4 . Was man jetzt schon sagen kann, ist, dass sich der kleine Blumenau äußerlich bereits immer mehr seinem grausamen Namensgeber Chefcontroller Blumenau ähnelt. Der Kleine hat schon
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