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Speichelfaeden in der Buttermilch

Speichelfaeden in der Buttermilch

Titel: Speichelfaeden in der Buttermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann , Christoph Grissemann
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aber dass ich armes Schwein von der Senderchefin ausgerechnet dazu verdonnert worden bin, in der Bulimieklinik Salzburg drei Tage lang Gebäudereinigungsdienste zu verrichten, das ist schon brutal. Schließlich bin ich Radiokomiker! Was soll das? Na gut, ich steh das schon durch, und wenn das Ganze dazu führt, dass die Hörer draußen endlich erkennen, dass wir hier absolute Supergutmenschen sind, dann ist es ja nicht ganz umsonst. Ich muss aufhören, liebes Tagebuch: Auf Zimmer 19 übergeben sich zum fünften Mal heute die essgestörten Zwillingsschwestern. Ich muss dort mit dem Putzlappen für Ordnung sorgen. Bis morgen.
    27.12.
    Liebes Tagebuch. Mangel und Entbehrung sind die beiden zentralen Wörter hier bei FM4 . Das ist nichts Neues, ich weiß. Aber wie weit sich die grausame Schraube der Selbstdemütigung drehen lässt, war mir nicht bewusst. Seit gestern ist es den jüngeren Kollegen verboten, a) Schuhwerk zu tragen, und b) mit dem ganzen Fuß aufzutreten. FM4- Mitarbeiter dürfen im Büro ausschließlich auf den Zehenspitzen gehen. Der Hintergrund der seltsamen Anweisung: Chefcontroller Blumenau will in absoluter Ruhe im Chefzimmer arbeiten und nicht von seinen Untergebenen belästigt werden. Längst unterhalten sich die Leute hier im Büro nur noch in Gebärdensprache. Und wenn es einer wagen sollte, sich leisest zu räuspern, taucht schon grimmigen Blickes Blumenau auf und hält den Zeigefinger an den Mund: »Pst!«
    Wo soll das alles enden?
    Liebes Tagebuch, ich muss leise schreiben. Das leichte Kratzen der Füllfeder am Papier kann den lärmempfindlichen Chef in den Wahnsinn treiben. Wir alle müssen uns im Büro im Zeitlupentempo bewegen, damit um Gottes Willen kein Luftzug entsteht, der eventuell zu hören ist. Man hat den Eindruck, lauter Geistesgestörte arbeiteten hier: bloßfüßig auf Zehenspitzen schweben die Leute mehr oder weniger im Schneckentempo durch die Gänge. Die Stille ist so unheimlich. Kein Husten ist zu hören, kein Am-Bart-Kratzen, nichts!
    Als gestern Vormittag eine Wimper von Wortchef Pieper auf den Boden knallte, schreckten wir alle mit angstgeweiteten Augen hoch und dachten, die Welt gehe unter.
    28.12.
    Liebes Tagebuch,ich, Christoph Mark Grissemann, zähle mit meinen 31 Jahren weißgott nicht zu den Allerjüngsten; bin aber damit im unteren Altersdrittel aller FM4- Mitarbeiter. Jugendradio? Dass ich nicht lache! Ich darf dir, liebes Tagebuch, kurz die FM4- Chefetage vorstellen: Wortchef Pieper – 42, in ständiger augenärztlicher Behandlung. Knallt mit seinen 12 Dioptrien jeden Morgen gegen alle Kästen, bis er sich ächzend an seinem Schreibtisch niederlässt. Sieht von hinten ein bisschen wie Leon Askin aus. Chefcontroller Blumenau – 49, absolutes Faktotum, Aubesetzer, spricht mit seiner Mutter am Telefon Lateinisch. Von Altersbosheit zerfressen. Sieht von der Seite ein bisschen wie Josef Meinrad mit Brille aus. Senderchefin Eigensperger – 53, seit zwei Jahren Großmutter, hat mit meinem Vater 1968 Ö3 miterfunden; gemütliches Tantchen, sieht von Weitem ein bisschen wie Christiane Hörbiger nach einem Saufgelage aus. Was das »Morning Show«-Seniorenduo Freeman und Larkin betrifft, beide jenseits der 65, so munkelt man scherzhaft, dass die beiden erst den Sargdeckel öffnen müssen, um sich in ihre Rollstühle zu quälen. Haben beide den gleichen Altenpfleger: Hermann, 45. Steht ständig mit einem Erste-Hilfe-Set vor der Studiotür.
    Tja, liebes Tagebuch, und dann wäre da noch mein Partner Stermann, 39, sehr auffassungsschwacher Klopapierwerbesprecher aus Duisburg, mit ihm schreibe ich seit neun Jahren Tagebuch.
    Natürlich gibt es auch jüngere Mitarbeiter bei FM4 , liebes Tagebuch, denen aber mangelt es derart an Professionalität und Talent, dass sie bei Radio Orange nicht mal den Mist runterbringen dürften. Matthias Zsutty zum Beispiel, 25 – ehemaliger Kellner in einer Aida-Konditorei, arbeitet bei FM4 selbstverständlich nur im Hintergrund, grundsympathischer Biertrinker und Wurstesser. Hat von Popkultur soviel Ahnung wie Mausi Lugner, sieht im übrigen auch ein bisschen so aus. Andreas Sehrodler – 26, ewiger Praktikant, weiß bis heute nicht, wie man kopiert und das Licht im Büro anmacht, Burgenländer … Was soll man sagen? Und dann noch diese Heerschar an Telefon-Jennis/Maries/Johannas, und wie sie alle heißen – alle 22, alle hochintelligent, aber alle zu wenig stresstauglich, um sie jemals ans Livemikrofon zu lassen, sehen übrigens alle so

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