Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Speichelfaeden in der Buttermilch

Speichelfaeden in der Buttermilch

Titel: Speichelfaeden in der Buttermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann , Christoph Grissemann
Vom Netzwerk:
unseren Bildungsauftrag aufgrund eigener fehlender Bildung nicht wahrnehmen können. »Die kleine Raupe Nimmersatt« ist noch das anspruchsvollste Buch in den Regalen unserer Bibliothek. Man merkt einfach, dass Senderchefin Eigensperger die meisten Bücher ausgesucht hat. Sie ist ja Esoterikerin, und darum gibt's zuhauf Bücher mit Titeln wie: »Die Anderswelt«, »Lösungen aller Probleme der Welt durch richtige Atmung« oder »Warum man Entscheidungen nur bei Vollmond treffen darf« oder »Das Weibliche im Männlichen der Frau«. Ich will niemandem zu nahe treten, aber mit solchem Wissen im Rücken kann man nur Idiotenradio machen.
    Liebes Tagebuch, es ist wirklich peinlich. Niemand bei FM4 weiß, wann der Zweite Weltkrieg war – und damit meine ich nicht die genauen Jahreszahlen, sondern das Jahrhundert. Oder besser gesagt: das ungefähre Jahrhundert. In unserer Bibliothek fand sich dazu nichts. Es gibt auch keinen Atlas, darum können wir intern nicht klären, ob die Elfenbeinküste in Afrika liegt oder ein eigener Kontinent ist. Immer müssen wir bei Ö1 anrufen. Mein Gott, die müssen uns für völlig bescheuert halten. Und, jetzt mal ganz selbstkritisch, so falsch liegen sie damit gar nicht.
    20.5.
    Liebes Tagebuch, seit einigen Tagen gibt es in der ORF -Funkhaus-Kantine Sushi, eine schöne Abwechslung, nachdem es jahrelang nur Fleisch gegeben hat. Allerdings wird das Sushi nicht stilgerecht von einem japanischen Koch zubereitet, sondern von dem normalen Kantinenkoch, einem 62jährigen Oberösterreicher, der früher Gänse gemästet und geschlachtet hat. Wenig verwunderlich und doch enttäuschend war dann auch mein erstes Kantinensushi: ein Stück auf einer Kartoffel, umwickelt mit Extrawurst. Das erinnerte stark an die italienische Woche Anfang Mai, als es Pizza gab – eine plattgehauene Blutwurst mit Kartoffeln und Schweinshaxe als Belag.
    Liebes Tagebuch, am teuersten ist im Funkhausbuffet die Vollwertkost, wir nennen sie deswegen auch »Vollkostwert«. 25 Euro allein für die Suppe, weil, wie es heißt, für das Vollwertkostmenü echtes Wasser benutzt wird und nicht wie sonst das abgestandene Spülwasser. Leider gibt es auch kein wirkliches Obst, sondern nur sogenanntes Alkoholiker-Obst: Kirschlikör und Himbeerschnaps. Schockiert war ich, als ich gesehen habe, woher die Kantinenmitarbeiter das Brot bekommen. Sie stellen sich auf den Stephansplatz und reißen den Tauben das Brot aus dem Schnabel, mit dem diese von Omas gefüttert wurden. Ähnliches habe ich im Stadtpark beim Teich mit den Enten gesehen. Deshalb schmeckt das Brot so feucht. Na ja. Be afraid, honey, it's FM4 food.
    21.5.
    Liebes Tagebuch, es hat wieder von drinnen raus geregnet. Viele FM4- Mitarbeiter haben ja durch ihre Zungenpiercings eine furchtbar feuchte Aussprache. Der Fashionkult treibt absurde Blüten, wenn Andreas Ederer auf seinem Oberarm ein mit einem Tattoo bemaltes Piercing auf seinem Tattoo picken hat. Sogenannte FM4- Tribal-Tattoos. Makossa, unser 68jähriger Musikchef, hat abwaschbare Piercings in Zunge, Lippe, Augen und Stirn. Robert Zikmund hat sich ins Weiße seines rechten Auges einen Teufel tätowieren lassen. Und die selbstverliebte Mirjam Unger hat sich ihr eigenes Gesicht als Motiv aufs Gesicht tätowieren lassen. Wenn sie wirklich eitel wär, hätte sie sich mein Gesicht als Motiv gewählt.
    Liebes Tagebuch, Chefcontroller Blumenau ist mit seinem Wangenpiercing in Christian Davideks Piercing-Piercing hängengeblieben. Am Funkhausparkplatz. Davidek saß auf seiner Vespa, fuhr los und riss Blumenau die halbe Wange weg. Na ja, verschwende deine Jugend, heißt es, und auch der bald 70jährige Blumenau will Teil einer Jugendbewegung sein, man kann's ihm nicht verdenken. Interessanterweise wollen nur die wirklich jungen Kollegen und Kolleginnen nicht Teil einer Jugendbewegung sein und auch nicht ihre Jugend verschwenden. Der 17jährige Albert Farkas zum Beispiel kommt mit Schlips und Kragen und Bleistiftspitzer ins Funkhaus, top vorbereitet und ausgeschlafen. Und hebt immer brav nach Dienstschluss die Zigarettenkippen vom Boden auf, trennt Müll und liefert das Marihuana, das überall herumliegt, bei der Polizeiwache in der Taubstummengasse ab. Ich komm mir jedenfalls immer albern vor, wenn ich neben ihm auf meinem Skateboard fahre. Mein Wakeboard im Arm. Meinem tätowierten. Auf meinen Arm hab ich ein Raucherbein tätowieren lassen. Ich fand das originell, aber Albert schaut mich an, wie man einen armen Irren

Weitere Kostenlose Bücher