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Speichelfaeden in der Buttermilch

Speichelfaeden in der Buttermilch

Titel: Speichelfaeden in der Buttermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann , Christoph Grissemann
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Tagebuch, okay, wir sind ein Jugendsender, aber diese Infantilität geht mir langsam auf den Geist. Bei FM4 läuft auf den sechs Fernsehern ununterbrochen der Ki.Ka, und Dutzende von Kollegen sitzen gebannt vor der Glotze beim »Tigerentenclub« und all den anderen Kindersendungen. Aus dem Büro der Chefin hört man Benjamin Blümchen »Töröö!« rufen, und Chefcontroller Blumenau spielt völlig versunken an seinem Schreibtisch mit winzigen Polly-Pocket-Figuren. An den Wänden hängen Pferde- und Alexander-Poster, die man kaum voneinander unterscheiden kann, und ständig stolpert man über Matchbox-Autos, mit denen Thomas Edlinger auf dem Boden spielt. Sein Kollege Ostermayer sitzt vorm Computer und spielt »Sims«. Er hat alle Erweiterungsspiele: »Urlaub total«, »Die Sims – Tierisch gut drauf« und »Die Sims – Hokuspokus«. Ich hab mir bei der »Hokuspokus«- CD - ROM mal die Beschreibung durchgelesen: »Peppe das Leben deiner Sims mit ein wenig Magie auf! Sprich Zaubersprüche aus, hypnotisiere deine Freunde oder verwandele deinen Nachbarn in einen Frosch.« Mein Gott, Fritz Ostermayer ist bald 70 und kauft gerade virtuell einen Skelett-Schrank. »Da kann ich anklopfen, wenn ich Hilfe beim Hausputz brauche!«, ruft er begeistert. Ich selber komme mir immer mehr vor wie ein Babysitter.
    Liebes Tagebuch, Duncan Larkin sitzt neben Fritz »Sims« Ostermayer und installiert gerade eine Tierbadewanne. Er lacht wie ein Bekloppter und schreit in seinem gebrochenen Deutsch: »Ick bin klatschnass, weil ick die Papagei gebadet hast!« Neben ihm versucht Stuart Freeman einen Hund virtuell stubenrein zu machen. Luna Luce und Mona Moore spielen Vater und Mutter und Mathias Zsutty Kaufmannsladen. Und Grissemann offensichtlich Blinde Kuh, er ist schon wieder über Thomas Edlinger gestolpert, der still und autistisch seine Spielzeugautos herumschiebt. Grissemann hat ja fast 70 Dioptrien, weigert sich aber kindischerweise, eine Brille aufzusetzen, damit er, wie er sagt, dieses Elend hier bei FM4 nicht sehen kann. Schade für ihn, denn so kann er auch nicht sehen, wie die Kollegen der Musikredaktion gerade vor einer Schultafel stehen, auf der mit Kreide »Meine erste Schultüte« geschrieben steht. Jetzt zünden sie ihre Schultüten an und nehmen einen tiefen Zug. Im Hintergrund läuft eine Schlumpfversion von »I Shot the Sheriff«. Kinderkiffer, ich halte das alles nicht mehr aus! Ich will sofort zu Ö1 , aber das einzige Angebot, das ich habe, ist Kabelträger bei »Tom Turbo«.
    28.5.
    Liebes Tagebuch, entschuldige, dass ich so krakelig schreibe, aber es ist sehr schwer, während des Tanzens auf Schönschreibung zu achten. Außerdem bin auch schon ein bisschen erschöpft, weil ich seit 32 Stunden das Tanzbein schwinge. Es geht um 100 Euro bei unserem FM4- Tanzmarathon, den Heinz Reich und Tina 303 zusammen mit ihrem alten Freund Elmayer von der gleichnamigen Tanzschule organisiert haben. Reich und 303 sind ja begeisterte Turniertänzer, sie waren als Paar 1986 österreichische Foxtrott-Staatsmeister, und jetzt sitzen sie als Juroren mit Elmayer an einem Tisch und beobachten uns kritisch bei unserem Marathon. 35 Paare tanzen um den Sieg, und der FM4- Einbeinige und ich, wir halten uns ganz gut, auch wenn sich mein Partner mit der Holzprothese nicht ganz so elegant bewegt. Wir tanzen jetzt schon über zwölf Stunden Cha-cha-cha, das geht mir ganz schön in die Knochen und ihm ins Holz. Aber wir halten durch. Ich will auf jeden Fall länger als Stermann und Wortchef Pieper durchhalten, die offensichtlich extra Tanzstunden genommen haben vor dem Turnier. Elmayer, Reich und 303 klatschen den beiden auf jeden Fall immer wieder begeistert zu, wenn der Koloss Stermann den zarten kleinen Pieper durch die Luft wirbelt und umgekehrt.
    Aber freu dich nicht zu früh, Deutscher!
    Liebes Tagebuch, peinlich! Bin gerade dem Einbeinigen aufs Holz gestiegen. Ich hoffe, die Jury hat nichts gesehen. Ich will schließlich einen perfekten Eindruck hinterlassen. Ich war vorher zwei Tage lang nonstop im Solarium, trage ein Korsett, um meine Wampe einzuschnüren, habe fünf Tuben Gel im Haar picken und meine schwarzen Lederschuhe fast einen Monat lang auf Hochglanz poliert, so dass man sich in ihnen besser spiegeln kann als in einem Badezimmerspiegel. Während Grissemann in einem verschwitzten Trainingsanzug wie ein Bauer herumstampft, fliegen Pieper und ich förmlich übers Parkett. Die 100 Euro sind uns sicher. Alle anderen Paare stöhnen

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