Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Speichelfaeden in der Buttermilch

Speichelfaeden in der Buttermilch

Titel: Speichelfaeden in der Buttermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann , Christoph Grissemann
Vom Netzwerk:
Telefonzelle stand leer, also hab ich gleich zugeschlagen«, hat er mir erklärt, der schlaue Fuchs Grissemann. Er muss zwar im Stehen schlafen, dafür ist die Lage aber ausgezeichnet, und eine öffentliche Toilette gibt's auch gleich in der Nähe. Ich freue mich für meinen Kollegen, auch wenn bei seiner Wohnungseinweihungsfeier die Gäste aus Platzgründen einzeln reinkommen mussten. Nach seiner Delogierung hat er ja monatelang auf der Landebahn in Schwechat gewohnt, da ist das schon ein gewaltiger Aufstieg.
    14.5.
    Liebes Tagebuch, nachdem Senderchefin Eigensperger ja 3/4 des Jahres in der Karibik verbringt, hat sie viele karibische Bräuche und Rituale bei FM4 eingeführt, damit sie sich nicht so fremd fühlt, wenn sie mal im Funkhaus ist. Zwischen Mai und August kommt sie etwa fünf oder sechsmal ins Funkhaus, um ihre Honorarnoten zu unterschreiben und offiziell nach dem Rechten zu sehen. Wenn sie kommt, müssen wir Mitarbeiter Dreadlocks haben oder wenigstens Dreadlock-Perücken tragen. Chefcontroller Blumenau, der Schleimer, hat natürlich echte Dreadlocks. Ist er deswegen der Vertreter der Chefin? In seinen verfilzten Haaren stecken Mangos, Papayas und bunte Papageieneier. Sobald die Chefin die Redaktion betritt, zieht er an seinem meterlangen, wasserrohrdicken Joint und begrüßt sie mit einem »Yo, Chefin, Rastaman vibration, peace!« Widerliche Anbiederung. Mir ist die Perücke beim Fußballspielen auf dem Gang vom Kopf gefallen. Die Chefin schlug mich wutschnaubend mit einem riesigen Bananenblatt windelweich.
    Liebes Tagebuch, heute ist Herthas großer Tag. Hertha ist mein Kampfhuhn, das ich ein Jahr lang trainiert habe für den illegalen Hahnenkampf heute Abend. Die Chefin bringt aus Kingston immer den erfolgreichsten und brutalsten Kampfhahn der Karibik mit nach Wien und schickt ihn gegen unsere Tiere ins Rennen. Wir Mitarbeiter dürfen im besten Fall Hühner in den Kampf schicken, manchmal erlaubt sie auch nur Küken. Man muss kein Tierschützer sein, um das Grausame an diesem Schauspiel zu erkennen. Hertha ist ein gemütliches, glückliches und freilaufendes Huhn, ihr Gegner heißt Diavolo und hat in seiner zweifelhaften Karriere bereits an die 1000 Gegner totgepickt. Alle Kollegen müssen auf den Ausgang des Kampfes wetten, aber nur die Chefin und Chefcontroller Blumenau dürfen auf Diavolo setzen. Arme kleine Hertha. Ich hoffe, dass die Chefin mit ihren blutunterlaufenen Augen mir erlauben wird, direkt nach Kampfbeginn das Handtuch zu werfen. Be afraid, Hertha …
    16.5.
    Liebes Tagebuch, wenn die Karibik so ist, wie Senderchefin Eigensperger sie uns präsentiert, möchte ich dort niemals hinfahren. Lieber zwei Wochen Irak oder Bitterfeld, nur das nicht. Sie hält sich für die Widergeburt von Haile Selassie, aus ihrem Büro dringt ununterbrochen Reggaemusik, ein Musikstil, der nur ein einziges Lied mit unendlich vielen Strophen ist. Eine Art Gehirnwäsche. Kein Wunder, dass man bei der Musik kiffen muss. Zusätzlicher Vorteil des Kiffens: Man spürt den beißenden Gestank der Hühnerköpfe und -krallen nicht so und die ekelhaften Gerüche des Schlachtens während der Vodoo-Zeremonie. Überall Federn und Blut. Und Chefin Eigensperger in Trance in Verbindung mit ihren Ahnen – behauptet sie jedenfalls. Ich behaupte, sie ist einfach nur betrunken, von dem Doppler Rum.
    Liebes Tagebuch, die Chefin ist sauer, weil das mit den Vodoo-Puppen nicht richtig hinhaut. Sie hat von jedem Mitarbeiter eine kleine Puppe aus Stroh angefertigt und sticht der mit einer Nadel in den Bauch, wenn sie mit dem echten Mitarbeiter unzufrieden ist. Normalerweise sollten wir dann einen stechenden Schmerz verspüren, aber keiner von uns spürt was. Die Chefin hat eben mit einer Nadel auf die Grissemannpuppe eingestochen, bis die Puppe völlig zerfetzt war, aber Grissemann löschte unbeirrt weiter sämtliche Reggaenummern aus dem Musikcomputer. Erst als sie den Voodoo-Kult ein wenig verändert hat, erzielte die Chefin die gewünschte Wirkung. Sie stach mit der Nadel nicht mehr auf die Puppe ein, sondern auf Grissemann direkt. Und tatsächlich: er hörte auf zu löschen und schrie wie am Spieß.
    18.5.
    Liebes Tagebuch, Wissen ist Macht. Und als öffentlich-rechtliches Radio haben wir natürlich einen Bildungsauftrag. Und wie alle öffentlich-rechtlichen Radios mit Bildungsauftrag haben wir natürlich auch bei FM4 eine Bibliothek. Wenn man sich allerdings unsere Bibliothek mal etwas genauer ansieht, wird schnell klar, dass wir

Weitere Kostenlose Bücher