Speichelfaeden in der Buttermilch
begleitet von der Hoffnung der Senderverantwortlichen, dass die auf Tour Geschickten tödlich verunglücken. Daran muss ich bei der FM4- Tour immer wieder denken. Wie anders ist es zu erklären, dass es keinen einzigen Gurt in unserem sogenannten Nightliner gibt? Warum fährt die ganze Zeit ein Beerdigungswagen hinter uns her? Warum arbeiten die Kollegen in Wien an einem Nachruf auf uns, wie ich aus sicherer Quelle weiß? Es hätte mir natürlich schon bei der Abfahrt vom Funkhaus auffallen müssen, dass auf dem Parkplatz Thomas Edlinger und Fritz Ostermayer, die einzigen Mitglieder der FM4- Neigungsgruppe »Steinmetzerei«, einen schweren Granitblock bearbeiteten. Als der Bus losrollte, konnte ich noch den Text lesen, den sie in Stein schlugen: »Dirk Stermann und Christoph Grissemann, FM4 , 1995–2004«. Ich glaube nicht, dass ich besonders paranoid bin, aber kann es Zufall sein, dass über Stermanns und meinem Kopf mehrere Geier kreisen – und das sogar im Bus?
Liebes Tagebuch, diese deutsche Band »Stella« fragt uns ständig, welches Lied wir am Schluss hören wollen. Sie meinen wohl unser Begräbnis. Ich weiß nicht, wieso sie glauben, dass sie dann noch spielen können, sie sind ja mit uns zusammen auf dieser Höllenfahrt, wir sitzen im selben Boot bzw. Bus. Wir sind jetzt seit Salzburg schon sechsmal in den Straßengraben gekippt, waren dreimal als Geisterfahrer unterwegs, haben neun Hirsche frontal angefahren und waren an fünf Massenkarambolagen beteiligt. Da wir ja überwiegend nachts unterwegs sind, ist es schade, dass unser Bus keinerlei Beleuchtung hat. Keine Scheinwerfer, kein Blinklicht, nicht mal eine Taschenlampe haben wir. Unsere einzige Lichtquelle ist die Glut unserer Zigaretten. Die Glut spiegelt sich unheilvoll in unserem Angstschweiß. Liebes Tagebuch, ich glaube, es ist an der Zeit, dass ich mich von dir verabschiede. Wahrscheinlich werden wir alle im Treibhaus Innsbruck aufgebahrt, und die Leute sind dann sicher sauer, weil sie keine Lust haben, Eintritt zu bezahlen, um ein paar Leichen zu sehen. Ich wünsche mir jedenfalls bei meinem Begräbnis, dass eine Tiroler Blasmusikkapelle dieses Lied von »I Santo California« spielt: »Asciughi quella lacrima – tornerò.«
26.5.
Liebes Tagebuch, das darf doch nicht wahr sein. Wozu arbeiten wir überhaupt noch? Die ganze Recherche, der Kurztrip nach Istanbul, all die vielen lustigen Moderationen, die 1A Witze, alles für die Katz, für nix und nix und wieder nix! Langsam beginne ich wirklich an den Fähigkeiten meiner Kollegen zu zweifeln. Da kommentieren wir den Grand Prix d'Eurovision de la Chanson in altbewährter Weise, und FM4 schafft es technisch nicht, dass wir in Österreich zu hören sind! Unsere Trotteln vom Dienst haben aus Versehen eine Leitung bestellt, die ORF International gehört. Das heißt, wir waren ausschließlich in Zentralafrika zu empfangen. Schöner Mist. Ich bezweifle, dass es im Kongo irgendwen gibt, der sich wirklich für den Songcontest interessiert. Obwohl ich mal einen Rechtsanwalt aus Uganda kennengelernt habe, der gesagt hat, dass ihm der Songcontest ein Heimatgefühl gibt, weil sie in Uganda an allen todbringenden Seuchen leiden, die der Herrgott auf die Welt geworfen hat. Und der Songcontest passt prima in die Ebola-, Malaria-, Pocken- und Aids -Reihe.
Liebes Tagebuch, ich will uns nicht loben, aber wir waren Spitze gestern. Der Witz mit dem Reifen, oder der Vergleich mit dem Staubsauger, von dem Kaninchenspruch ganz zu schweigen. Herrlich. Regisseur Mathias Zsutty hat Tränen gelacht, zu Recht. Na ja, wieder ein paar Perlen vor die Säue geworfen. Als Obertonmeister Bauch dann nach der Sendung ins Studio kam, um uns das kleine technische Missgeschick mitzuteilen, hat Grissemann zu weinen begonnen. Ich verstehe ihn, in diese Sendung hat er all sein Können und Wissen gesteckt, das war sein Meisterstück. Ich habe noch nie jemanden so gut moderieren gehört, auch international. Und dann das. Und natürlich wurde die Sendung auch nicht mitgeschnitten, Manuskript gibt es auch keins, wir haben stundenlang auf allerhöchstem Niveau improvisiert. Nur Zsutty und der liebe Antonio Fian, ein Nachwuchsautor und Fan der ersten Stunde, haben also die Sendung gehört. Fian kniete im Studio vor uns nieder und meinte, er glaube nach dieser Sendung wieder an Gott, aber: alles verloren, ein Geniestreich, verpufft im Äther des schwarzen Kontinents. Mein Gott, die Arbeit hier hat doch keinen Sinn mehr.
27.5.
Liebes
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