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Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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ihn ab und steckte ihn sich in die Tasche.
    Wie er es schon dreimal getan hatte. Und nie wieder tun würde.
    »Mach dir keine Vorwürfe«, bat Eff-Eff. »Du hast dir alle Mühe gegeben. Ich werde ein Buch darüber schreiben, wie du dich bemüht hast. Darüber, dass Dogmen stärker noch als unser Verstand und unser Glauben sind.«
    »Ein anderes Buch würde mir besser gefallen, Eff-Eff«, sagte Martin.
    »Ich kann mir ein glückliches Ende ausdenken«, schlug Den-Der-Freund-Fand vor. »Aber könnte ich mir auch ein anderes Leben ausdenken?«
    Zwei Tage später gelangte Martin zur Station der Schließer.
    Hinter ihm lag die offizielle Untersuchung des Unglücksfalls, bei der ihm zupass kam, dass Den-Der-Freund-Fand als einziges Kind von Herbstgeborener das Amt des Chefermittlers für Verbrechen, in die Fremdplanetarier verwickelt waren, geerbt hatte.
    Hinter ihm lag die Bestattung Irina Poluschkinas. Der Priester der Kirche von der Ikone der Himmelskörper am Firmament las für Irina die Totenmesse. Die Frau wurde in einem kleinen Friedhof hinter dem Gotteshaus begraben, unter dem traurigen Geläut der in einem nicht sehr hohen Holzturm hängenden Glocken. Der Zeremonie wohnten die Geistlichen aus dem Tempel des ThaiGeddars ebenso bei wie die Dio-Daos aus der Kathedrale Aller Stigmata sowie einige Protestanten und ein Buddhist in orangefarbenem Gewand.
    Vater Ambrosius, der weltlich Allmorgendliche Freude hieß, hielt nach dem Gottesdienst eine kurze Predigt. Kirchenslawisch beherrschte er vorzüglich. Den Tod Irinas nahm er sich aufrichtig zu Herzen. Martin störte nur eins. Einige Sätze von Vater Ambrosius ließen darauf schließen, dass er hoffte, Irina Poluschkinas Reliquien würden nicht vermodern und die Kirche von der Ikone der Himmelskörper am Firmament damit eine eigene Heilige erhalten.
    Diesbezüglich hegte Martin seine Zweifel.
    Schließlich hatte er sich in die nahe gelegene Stadt begeben, in der sich die Station der Schließer befand. Eff-Eff hatte Martin begleitet, voller Wärme hatten sie voneinander Abschied genommen. Den-Der-Freund-Fand war noch immer klein, wuchs aber zusehends und verwandelte sich mehr und mehr in einen Mann.
    Martin ging davon aus, dass er Eff-Eff wohl nie wiedersehen würde. Auch das lagerte sich als schmerzlicher Bodensatz in seiner Seele ab – wie es bereits beim Besuch seines sterbenden Freunds gewesen war.
    Vermutlich schufen diese ambivalenten Gefühle, gemengt aus unbegründetem Schuldbewusstsein und echtem Mitleid, eine größere Distanz zwischen der Welt der Dio-Daos und den anderen Rassen als die lästigen Visaformalitäten, der Kontrast von ultramoderner Technik und archaischem Alltag sowie andere Besonderheiten. Martin fragte sich sogar, ob sich dieses Gefühl überhaupt überwinden ließe. Wenn man sich gegenüber den Dio-Daos wie zu seinesgleichen verhielt, wie gegenüber Wesen, mit denen man zusammenarbeitete und sich anfreundete, dann würde man sich wohl nie mit ihrem sich rasant vollendenden Lebenszyklus abfinden.
    Als Martin die Station der Schließer betrat, nahm er innerlich von Eff-Eff genauso Abschied, wie er es von Irina Poluschkina getan hatte.
     
    »Einsam ist es hier und traurig«, erklärte der kleine, durch und durch schiefe Schließer. Bislang hatte Martin noch keinen verkrüppelten Schließer getroffen – aber irgendwann geschieht alles zum ersten Mal. »Sprich mit mir, Wanderer.«
    »Ich bin noch etwas schuldig«, gestand Martin.
    Entgegen seiner Erwartung verspürte Martin weder Hass noch Vorbehalte gegen die Schließer. Vermutlich glaubte er nicht wirklich an ihre Schuld. Vielleicht hielt er es aber für ebenso sinnlos, den Schließern zu grollen, wie einem Hurrikan oder einem Erdbeben etwas zu verübeln …
    »Ich weiß«, bestätigte der Schließer. »Für jenes kleine, beklagenswerte, naive Etwas, das weder Körper noch Seele noch Talent war, für dieses Etwas, das die Persönlichkeit des Mannes ausmachte, fehlte indes jeder Sinn. Er versuchte alles auf einmal, versuchte gleichzeitig zu glauben, zu lieben, sich des Lebens zu freuen und etwas zu schaffen. Doch dem Sinn kam er auch auf diese Weise nicht auf die Spur. Ja, mehr noch, der Mann erkannte, dass von den wenigen Menschen, die in ihrem Leben nach Sinn suchten, noch keiner ihn gefunden hatte.«
    Martin nickte, worauf der Schließer, der aus einem hohen Glas etwas trank, das verdächtig an Milch erinnerte, ihm zulächelte.
    »Der Mensch musste noch viele Wege beschreiten«, fuhr Martin

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