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Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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geschätzt hätte.
    Die dicke Nabelschnur schlängelte sich ihm nach, pulsierend und in einem irrsinnigen Rhythmus zitternd wie eine straff gespannte Saite. Die Augen des Kleinen schauten weit aufgerissen drein – und ruhten ohne zu blinzeln auf Kadrach.
    Als spüre er diesen Blick, drehte Kadrach sich um. Seine Hände wollten schon die Schwerter ziehen, doch dann ließ er sie kraftlos sinken. »Das entehrt den Tempel auf immer …«, hauchte er.
    Irina erhob sich, erblickte das Kind und presste aufschreiend die Hände vors Gesicht. Der Anblick war in der Tat alles andere als erbaulich.
    Das Junge hatte sich erhoben, stand auf den starken Hinterpfoten. Nachdenklich richtete es den Blick auf die Nabelschnur. Das Pulsieren verebbte. Durch den engen Kanal schienen sich die letzten großen Blutklumpen in den kindlichen Körper zu zwängen.
    Schließlich öffneten sich die Lippen des Kindes, das mit schwacher Stimme sagte: »Das Versprechen des ThaiGeddars ist eingelöst … Ich starb und erstand in neuem Fleisch auf.«
    Der Priester in dem salatgrünen Gewand fiel auf die Knie.
    »Du bist nicht auferstanden!«, explodierte Kadrach. »Du hast dein Gedächtnis in das Kind gepumpt! Du verspottest unseren Glauben, schon wieder verspottest du ihn!«
    Er zog seine Schwerter aus den Scheiden.
    »Wag es ja nicht!«
    Der Moment, in dem Irina das Schwert des Priesters vom Boden aufgehoben hatte, war Martin entgangen. Jetzt versuchte er, sie zu packen, doch seine Hände glitten an der nackten Haut ab. Die Frau entriss sich ihm, Martin schlitterte über den blutverschmierten Boden und fiel hin. Irina führte den Stoß ohne jedes Geschick und Können aus, gleichsam als hantiere sie nicht mit einem Schwert, sondern mit einer Latte. Selbstverständlich spürte der Geddar die über seinem Kopf dahinzischende Schneide. Er drehte sich um – und bleckte die Zähne. Martin ahnte, wie viel Kraft den Geddar diese Selbstbeherrschung kostete. Dennoch verlor er nicht die Kontrolle, schlug nicht auf Irina ein, sondern wehrte mit seinen Schwertern lediglich ihre Klinge ab.
    Das Schwert des Priesters schlierte an Kadrachs Schwertern entlang und zerteilte eines von ihnen unmittelbar überm Griff. Danach drang die Klinge in die Schulter des Geddars ein, Gewand wie Fleisch mühelos zerschneidend.
    »Mamotschka …«, flüsterte Irina und ließ das Schwert los.
    Unverändert ragte die Waffe aus dem Körper des Geddars, während das Blut stoßweise aus der Wunde strömte. Gedankenversunken betrachtete der Geddar abwechselnd die Wunde und sein zerhacktes Schwert. Er öffnete die Hand, und der Schwertgriff samt Klingenansatz fiel zu Boden.
    »Das habe ich nicht gewollt …«, hauchte Irina.
    »Du warst nur das Schwert des ThaiGeddars …«, sagte Kadrach. Dann fiel er auf die Knie.
    »Verzeih mir!«, schrie Irina, indem sie sich über den Geddar beugte. »Verzeih mir bitte!«
    Obschon Martin genau wusste, worauf alles hinauslief, vermochte er nichts dagegen zu tun.
    Irinas Beine rutschten im Blut aus, sie fiel, konnte sich zwar mit einer Hand abfangen, landete jedoch auf dem Geddar.
    Auf dem Geddar, der noch immer das zweite Schwert in Händen hielt.
    Irinas Rücken schien ein Höcker zu wachsen. Nach kurzem Zögern platzte er – und gab die Schwertspitze und ein wenig Blut frei. Die junge Frau wimmerte schwach auf.
    »Nein …«, stöhnte der Geddar. Mit letzter Kraft stieß er Irina vom Schwert und blickte flehentlich zu Martin hoch. »Das wollte ich nicht!«, flüsterte er. »Das habe nicht ich getan!«
    Martin, der ebenfalls im Blut ausglitt, machte keine Anstalten, sich zu erheben, sondern kroch auf allen vieren zu Kadrach. Er hob Ira von den Händen des Geddars.
    »Hilf … mir …«, hauchte die Frau.
    Martin presste eine Hand auf die pulsierende Wunde. Jede Hilfe kam zu spät. Die Klinge des Geddars war durchs Herz gegangen.
    »Wir sind noch drei«, sagte Irina, die ihm in die Augen sah, als erahne sie seine unausgesprochenen Gedanken. »Wenigstens … eine … sollte … Die Schließer … sind machtlos …«
    »Wo? Wo sind sie, Ira?«, schrie Martin.
    »Such sie … auf …«, flüsterte die Frau. Sie hustete, auf eine sehr ruhige, intelligente Weise. Danach schlossen sich ihre Augen.
    »Ich habe dich verraten, Freund«, brachte der Geddar hervor. Auch er lag im Sterben, das Blut peitschte in Strahlen aus seinem Körper. »Sie sind stärker … Sie haben auch mich missbraucht. Meinen Zorn. Ich bin schuldig.«
    In diesem Moment näherte sich

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