Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
Vom Netzwerk:
ihnen die kleine Figur des Dio-Daos. Der neugeborene Priester blickte traurig auf die Frau. »Braucht sie das Ritual des ThaiGeddars?«, fragte er mit hoher Stimme.
    Martin schüttelte den Kopf, während er den reglosen Körper auf seinen Knien wiegte.
    Daraufhin wandte sich der Dio-Dao dem sterbenden Geddar zu. »Das Herz des ThaiGeddars ist voller Mitleid … Füge dich in dein Schicksal, Kadrach.«
    Auf den Knien hockend, schwankte Kadrach ein wenig, weshalb Martin vermeinte, der Geddar wolle sich nun, in einem letzten Aufwallen seines Zorns, auf den neugeborenen Dio-Dao stürzen. Doch Kadrach fragte nur leise: »Verzeihst du mir … Korgan?«
    »Wie ThaiGeddar es befiehlt«, hauchte der Dio-Dao. Liebevoll legte er dem Geddar die Hand auf die blutüberströmten Schultern.
    Martin hob Irina hoch, stand auf und ging zum Ausgang. Der entkräftete Kadrach hockte unverwandt auf den Knien vor dem neugeborenen Dio-Dao, der leise etwas in der Sprache der Geddar sagte. Ab und an antwortete Kadrach, ab und an schüttelte er den Kopf. Der junge Priester kniete sich neben Kadrach und legte ihm das Schwert in die Hände.
    Der metallene Vorhang klirrte.
    »Gehen wir, Martin«, sagte jemand. »Sie werden mit dem Körper das tun, was nötig ist.«
    Martin drehte sich um. Der kleine Eff-Eff stand hinter ihm, den traurigen Blick auf den sterbenden Kadrach und die tote Irina gerichtet.
    »Er hat geglaubt!«, murmelte Martin, während er Eff-Eff aus dem Schwertgriff des ThaiGeddars hinausfolgte. »Er hat geglaubt!«
    »Man hat mir den Weg beschrieben, aber zu spät. Ist der Priester gestorben und auferstanden?«, fragte Eff-Eff bedrückt.
    Martin nickte. In seinem Kopf herrschte einzig Wirrnis.
    »Es gibt keine Wunder, die dir jede freie Wahl nehmen«, bemerkte Eff-Eff leise. »Und wenn sie existieren … dann kommen sie nicht von Gott.«
    »Wovon sprichst du, Eff-Eff?«, fragte Martin.
    »Der Satz über die unverzügliche Auferstehung ist ein Dogma der Geddarn«, erwiderte Eff-Eff. »Man darf ihn nicht wörtlich verstehen … wie es der Dio-Dao getan hat. Dergleichen hat es auch in unserer Geschichte schon gegeben.«
    »Ach ja?«, rief Martin. »Seid ihr etwa in der Lage, euer Bewusstsein vollständig in ein Kind hineinzutreiben? Die gesamte Persönlichkeit umzuschreiben?«
    Der Dio-Dao nickte. »Das … das kann man nicht bewusst tun«, präzisierte er. »Die Verlockung wäre … wäre zu stark. Aber es kommt vor. Bisweilen. Wenn ein Sterbender fest glaubt, sein Leben sei wertvoller als das Überleben der Sippe. Wenn es … sehr wichtig ist. Wenn das Kind noch nicht entwickelt ist und über keine eigene Persönlichkeit verfügt. Da kommen zahllose Wenns zum Tragen, Martin!«
    »Es gab kein Wunder«, flüsterte Martin. Und er wusste selbst nicht, ob er darüber erleichtert oder betrübt sein sollte.
    »Nein«, bekräftigte Eff-Eff. »Und gleichzeitig gab es eins. Der Priester glaubte in der Tat an ThaiGeddar. Und er wurde in einem neuen Körper wiedergeboren … Hat Kadrach ihn umgebracht?«
    Martin nickte. »Die Schwangerschaft des Priesters … Das konnte er nicht ertragen. Von den Weibchen ihres Geschlechts heißt es, sie verfügten über keinerlei Verstand.«
    »Wie banal«, bemerkte Eff-Eff. »Das Dogma erwies sich als stärker als der Verstand. Das Dogma hat Kadrach umgebracht und den Priester auferstehen lassen …« Er richtete den Blick auf Irina. »Wer hat sie getötet?«
    »Ein Zufall«, antwortete Martin. »Sie ist ausgerutscht und in Kadrachs Schwert gefallen … nachdem sie ihn zuvor tödlich verwundet hatte.«
    »Ich hätte mich früher mit den Theologen in Verbindung setzen sollen …« Eff-Eff senkte den Kopf. »Um in Erfahrung zu bringen, welches Schlupfloch es gibt. Um dich zu warnen und den Geddar zu beruhigen … Die arme Frau.«
    Martin nickte. Seine Hände waren voller Blut, er war über und über mit Blut beschmiert, der tote Körper rutschte zu Boden. Die vierte Kopie Irina Poluschkinas war einen zufälligen, gewaltsamen Tod gestorben. Abermals vor seinen Augen. Und abermals hatte er es nicht verhindern können.
    Doch diesmal war ihm keine Spur mehr geblieben.
    Drei Irinas, die noch in der Galaxis umherzogen, konnten friedvoll in Einsamkeit sterben. Martin Dugin würde ihnen kein Unglück mehr bringen.
    »Ich glaube, ich bin der Grund für ihren Tod«, gestand Martin. »In jedem Fall. Nie habe ich es geschafft, ihr zu helfen. Ich … ich trage etwas Unzulängliches in mir.«
    Er griff nach Irinas Jeton, riss

Weitere Kostenlose Bücher