Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
Vom Netzwerk:
gerichteter Lauf, ein auf ihn zurasendes Auto oder schlicht ein aggressives Individuum, das ihm zu nächtlicher Stunde begegnete – das waren Gründe, sich zu fürchten und jene Angst freizusetzen, die Kraft und Geist schärft.
    Aber zehntausend Raumschiffe mit einem Durchmesser von jeweils einem Kilometer? Darüber konnte er nicht einmal mehr lachen. Da stimmte der Maßstab einfach nicht. Es gibt viele Frauen, die beim Anblick einer Maus oder einer Spinne in Panik verfallen, doch Martin war sich absolut sicher, dass jene kosmischen Maßstäbe das schwache Geschlecht nicht eingeschüchtert hätten.
    Irina wurde panisch und erreichte damit, was sie wollte: Der halbwahnsinnige Pilot Petenka erfüllte ihre Bitte. Die weichen Kokons der Konturensessel vermochten ihre Insassen in der Tat zu fesseln und zu zermalmen.
    Gut, in gewisser Weise bedeutete das für Irina wirklich nicht den Tod. Zumindest vorerst nicht. Die beiden noch existierenden Kopien – falls sie denn noch lebten – würden das Gedächtnis der verstorbenen Irina erlangen … seiner Irina. Aber das war ja wohl kein Grund, Selbstmord zu begehen.
    Fünf Tode von Irotschka Poluschkina spukten Martin jetzt im Kopf herum.
    Der erste, verursacht durch einen durchgedrehten Kchannan, ein gutmütiges und fast intelligentes Wesen, mit dem auf Bibliothek die Kinder spielten wie mit einem Hund.
    Der zweite eine zufällige Schießerei und der Tod durch die Kugel jenes geheimnisvollen Cowboys, der Irina fraglos sehr gern mochte.
    Der dritte, abermals zufällig, herbeigeführt durch die Kugel eines Freundes und Gesinnungsgenossen, die Martin galt, jedoch Irotschka traf.
    Der vierte war der Gipfel an Absurdität! In einer Blutlache auszurutschen und in das Schwert eines Geddars zu stürzen!
    Der fünfte infolge einer hysterischen Bitte, die ihr eine halbintelligente Amöbe erfüllt hatte.
    Vermutete Martin anfangs noch eine perfide Intrige, vielleicht von Seiten der Schließer, dann brachte der dritte, insbesondere jedoch der vierte Tod Irinas diese Überzeugung ins Wanken. Sollte er etwa annehmen, die Schließer könnten über Zufälle gebieten, könnten eine junge Frau zwingen, auszurutschen und in eine fremde Klinge zu fallen? Das wäre keine Stärke mehr, das wäre Allmacht! Bei solchen Möglichkeiten hetzte man einer Frau keinen Kchannan auf den Hals, inszenierte keinen Schusswechsel auf einem friedlichen, kolonialisierten Planeten.
    »Fügung«, sagte Martin. »Schicksal. Fatum. Los. Bestimmung.« Und nach kurzem Grübeln fügte er noch hinzu: »Schickung.«
    Bisweilen spricht man von Todgeweihten. Der Ausdruck wird in der Regel im Zusammenhang mit schwerkranken Menschen gebraucht, mitunter bringt einen jedoch auch ein völlig gesunder, munterer und blühender Mensch auf diesen Gedanken. So genannte Übersinnliche und Anhänger kleiner und kriegerischer Kulte brüsten sich gern damit, kraft ihrer Intuition solche Menschen ausmachen zu können. Aussagen wie »Man brauchte den Kapitän des untergegangenen Schiffs ja nur anzusehen, da wusste man: ein toter Mann« hatte Martin stets skeptisch, ja, verärgert angehört, denn im Nachhinein lässt sich trefflich prophezeien. Jetzt wäre er freilich bereit gewesen zuzugeben, dass es solche Todgeweihten wirklich gibt.
    Und manch einer spürte wohl tatsächlich, welches Schicksal ihnen bevorstand.
    Martin hatte bedauerlicherweise fünf Lektionen gebraucht, bevor er zu dieser Einsicht gelangte.
    Vielleicht hatte Juri Sergejewitsch recht, und Martin fungierte in der Tat als Katalysator für das Schicksal. Ungeachtet all seiner Versuche, Irina zu schützen.
    Vielleicht …
    Das Gesicht in den Knien vergraben, die Hände über den Kopf gelegt, saß Martin da. Er dachte nach … Er musste sich darüber klar werden, was er als Nächstes tun sollte. Selbst wenn er nicht daran glaubte, dass ihm Gelegenheit für einen nächsten Schritt blieb.
    Irgendwann bemerkte er ein schwaches Licht, das durch seine Finger drang. Er hob den Kopf und sah an der gegenüber liegenden Wand der Zelle ein schmales, leuchtendes Rechteck – den Umriss der einen Spalt weit geöffneten Tür.
    Jemand glaubte, er könne die Zelle ruhig aufschließen.
    Martin erhob sich, trat auf der Stelle und massierte sich die steifen Beine. Dann ging er auf die leuchtende Kontur zu, tastete herum, fand jedoch keine Klinke, weshalb er schlicht gegen die Tür stieß – die sich sogleich gehorsam öffnete.
    Ein Gang. Helle, ungestrichene Holzwände, ein Holzfußboden und

Weitere Kostenlose Bücher