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Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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wissen.
    »Ja«, gestand Martin.
    »Welche Rolle spielt es für dich, ob eine Zivilisation von intelligenten Amöben untergeht oder nicht? Was hast du davon, Mensch?«
    »Mir gefällt der Kognak, den sie produzieren.« Martin grinste.
    Der Schließer schwieg. »Einsam ist es hier und traurig, Wanderer …«, sagte er dann kopfschüttelnd.
    »Meine Geschichte ist noch nicht zu Ende«, wandte Martin rasch ein. »Die Bessarianer sind begabte Kinder. Mit allen pubertären Komplexen. Aber wir, die Menschen und Geddarn, die Dio-Daos und Aranker, dürften wohl kaum Grund haben, uns in die Brust zu werfen. Nach den Maßstäben des Universums liegen wir noch alle in der Wiege. Und selbst wenn wir schon gelernt haben, durch den Laufstall zu krabbeln und mit unserer Rassel zu lärmen, stehen wir noch am Anfang des Weges.«
    »Ihr befindet euch nicht mehr im Laufstall«, sagte der Schließer. »Ihr habt bereits die ersten Schritte getan.«
    »Gut, nehmen wir an, wir hätten die untersten Stufen der Treppe erklommen, die in den ersten Stock hinaufführt«, korrigierte Martin sich. »Dann hätten wir einen Grund, stolz zu sein.
    Aber werden wir laufen lernen, wenn man uns immer auf dem Arm trägt? Werden wir die Hände vor dem Feuer zurückziehen, wenn man die Streichhölzer vor uns versteckt? Werden wir begreifen, was Strom ist, wenn man die Steckdose zuklebt? Werden wir zum Löffel greifen, wenn man uns füttert? Werden wir uns das Kauen angewöhnen, wenn wir nur Brei bekommen?«
    »Lernt ein Kind, das Gleichgewicht zu halten, wenn man ihm als Erstes ein Dreirad schenkt?«, fragte der Schließer leise kichernd. »Und wenn es fliegen lernen will, soll man es dann aufs Dach lassen? Keine Sorge, Martin, das ist nur so dahergesagt … ein Beispiel für die Doppeldeutigkeit eines jeden Vergleichs. Ihr seid keine Kinder, wir keine Pädagogen. Niemand will euch bevormunden. Niemand nimmt euch euer Spielzeug weg. Niemand kaut euch die Kascha vor. Schlagt euch gegenseitig mit Atomrasseln, buddelt im Sandkasten nach Schätzen, werkelt an euerm Genom herum. Verbieten wir euch das etwa? Oder haben wir euch verboten, die Spielzeuge, die ihr geschenkt bekommen habt, auseinanderzunehmen oder aus euren Sandkastenschaufeln Speere zu machen?«
    »Aber …«, setzte Martin an.
    »Sicher, es ist typisch für Kinder, ihren Eltern die übermäßige Fürsorge vorzuwerfen«, fuhr der Schließer fort. »Aber noch typischer ist es, dort eine Kontrolle zu vermuten, wo es sie nicht gibt und nie gab.«
    Martin sah den Schließer an und versuchte mit aller Mühe, wenigstens den Ansatz von Mimik aufzuschnappen … ein angedeutetes Lächeln … einen Hauch von Komik oder Misstrauen … Nichts. Er blickte in eine reglose Maske unter dichtem schwarzen Fell.
    »Also …«, setzte Martin an. »Dann spielen wir weiterhin mit Streichhölzern. Bis irgendwann diejenigen kommen, die uns allen kurzerhand unser gefährliches Spielzeug wegnehmen.«
    »Bist du so sicher, dass es mit einem Feuer endet, wenn du mit Streichhölzern spielst?«, fragte der Schließer.
    »Ich bin mir nur sicher, dass das Spiel mit dem Feuer mit der Sintflut endet«, antwortete Martin. »Davon werde ich dich nicht überzeugen können … ich bitte dich nur darum, die Kinder nicht dafür zu bestrafen, dass sie die Feuerwehr gerufen haben.«
    »Sie haben sie nicht gerufen, Martin«, entgegnete der Schließer. »Sie haben beschlossen, alle Streichhölzer auf einmal abzubrennen … ohne zu verstehen, dass ein Feuer, in einem einzigen Moment zusammengepresst, eine Explosion ist.«
    Der Schließer verstummte. Jetzt saß er wie ein Mensch da, in seine Überlegungen versunken, den Kopf in die Hände gestützt. Und Martin konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, der Schließer spräche mit jemandem … diskutiere seine Worte … treffe eine Entscheidung …
    Nach einer Weile hob der Schließer den Kopf. »Du hast meine Einsamkeit und meine Trauer vertrieben, Wanderer. Tritt durch das Große Tor und setze deinen Weg fort.«
    Martin hüllte sich in Schweigen. Er rührte sich nicht. Er stellte keine sinnlosen Fragen, schickte sich jedoch auch nicht an, aufzustehen.
    »Eltern können übermütigen Kindern einen Klaps geben«, bemerkte der Schließer leise. »Vor allem wenn es verlassene Kinder sind … von ihnen verlassen, als kein anderer Ausweg blieb … keine vergessenen Kinder, sondern schlicht der Willkür des Schicksals überlassene … Eltern können Kindern einen Klaps geben, aber sie reißen ihnen

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