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Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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eingelassen in der Decke ein Fenster aus trübem Glas, vielleicht auch Tageslichtlampen.
    Martin schaute an sich herunter. Er war bekleidet, trug jedoch aus irgendeinem Grund keine Schuhe. Den Revolver entdeckte er selbstverständlich nicht mehr.
    »Kann ich kommen?«, fragte Martin. Eine Antwort unterblieb. »Also gut. Eckstein, Eckstein, alles muss versteckt sein.«
    Er lief durch den Gang, an dessen Ende er eine weitere Tür ausmachte, die allerdings über einen runden Holzknauf verfügte.
    »Klopf, klopf«, sagte Martin, während er mit den Knöcheln gegen die Tür schlug. »Kann ich hereinkommen? Gut …«
    Martin öffnete die Tür und trat auf die in Licht getauchte Veranda hinaus. Sie war nicht verglast, bot sich ungeschützt dem leichten, frischen Wind dar.
    In der Nähe brauste Wasser. Kein Meer, kein Bach, sondern ein Fluss, das gleichmäßige, starke Donnern eines kleinen Bergflusses. Die Bäume sahen nicht aus wie die auf der Erde, obgleich sie grüne Blätter trugen und etwas wie einen Stamm und Zweige aufwiesen. Sie versperrten Martin die Sicht auf den Fluss.
    In der Verandamitte stand ein großer, runder Tisch, auf dem allerlei Speisen warteten. Einer der beiden hölzernen Sessel von bizarrer Form war leer.
    In dem anderen saß ein dürrer, hoch aufgeschossener Schließer.
    Unter seinem nachdenklichen Blick blieb Martin an der Schwelle stehen. Immerhin dehnte der Schließer diesen Moment nicht allzu lang aus.
    »Einsam ist es hier und traurig«, sagte er. »Sprich mit mir, Wanderer.«
    Es ließ sich nicht behaupten, Martin sei sehr überrascht gewesen.
    An ein quälendes Verhör, dem die Schließer ihn unterziehen würden, hatte er nur mit Mühe zu glauben vermocht. Noch weniger an eine lebenslängliche Gefangenschaft oder den Tod durch Erschießen.
    »Darf ich etwas essen?«, fragte Martin. »Das Letzte, was ich zu mir genommen habe, war ein aus einer Amöbe synthetisiertes Beefsteak. Und das ist schon recht lange her.«
    Selbstverständlich gab der Schließer keine Antwort. Er schenkte sich lediglich eine orangefarbene Flüssigkeit aus einer Karaffe in ein Glas ein.
    Martin setzte sich an den Tisch und nahm sich fest vor, keine Fragen zu stellen, denn das würde ohnehin zu nichts Gutem führen, aber auch keine Antworten zu geben – schlicht aus Abneigung den Schließern gegenüber.
    Sein Gegenüber schien nicht auf einem Gespräch zu bestehen. Er saß da, trank seinen Saft und beobachtete den speisenden Martin.
    Ungeachtet seiner Anspannung und der nicht einzuschätzenden Situation schmeckte es Martin. Tief in seiner Seele war er ein konservativer Mann, der der exotischen außerirdischen Küche mit einigen Vorbehalten begegnete. Gewiss, wenn ihm kein anderer Ausweg blieb, brachte er auch seltsame Arten von Weichtieren hinunter, Beefsteaks aus Amöben sowie in Geschmack und Farbe widerliche Früchte. Schließlich aß man selbst auf der Erde faulige Robbenflossen, die ein halbes Jahr lang im Boden von Tschukotka gelegen hatten, leicht angebratene Heuschrecken auf Beduinenart, das Hirn vom Affen auf thailändische Art, die berühmten marmorierten Eier und all die anderen chinesischen Köstlichkeiten.
    Selbst ganz gewöhnliche, einfache Gerichte konnten dem ungeübten Auge nicht gerade appetitlich erscheinen. Martin erinnerte sich noch, mit welchem Entsetzen ein ausländischer Besucher banale Buchweizengrütze mit Fleischsoße gemustert hatte. Er kannte auch einmal eine Frau, die hysterisch wurde, sobald sie schwarzen Kaviar sah. Und sein geliebter Onkel, ein Mann mit weltoffenen gastronomischen Ansichten und eingeschworener Patriot obendrein, konnte den Anblick eines echt russischen Gerichts nicht ohne Ekel ertragen: den von Haferschleim.
    Die von dem Schließer angebotene Stärkung war gleichermaßen exotisch wie angenehm fürs Auge. Stücke zarten rosafarbenen Fleischs – aus irgendeinem Grund hielt Martin es für Fisch – waren leicht angebraten und mit einer säuerlich duftenden Soße übergossen. Die gekochten kleinen Schnitze hätte er für Kartoffeln gehalten, erinnerte ihr Geschmack nicht an frisch gebackenes Brot. Appetitlich sah auch die klare Brühe aus, in der gut durchgekochte unbekannte Gemüsebrocken und lange, dünne Fleischstreifen, bei deren Zubereitung man darauf geachtet hatte, dass sie recht hart blieben, schwammen, die einen interessanten Kontrast in Konsistenz und Geschmack bildeten. Die orangefarbene Flüssigkeit stellte sich als Saft heraus, der jedoch nicht süß, sondern

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