Spektrum
deinen Teil abbekommen.«
»Deshalb lache ich gar nicht. Aber ich bin noch immer am Leben. Ist dir das nicht aufgefallen? Und auch wenn wir in einer halben Stunde die Station betreten, werde ich noch leben. Wer hätte das gedacht!«
Nachdem Martin sich ihre Worte hatte durch den Kopf gehen lassen, legte er sich die Thermowaffe auf die Knie. Leise fuhr der Bus durch die Nacht.
Hinter ihnen jedoch drangen aus der Stadt Geräusche heran, die deutlich an Maschinengewehrsalven erinnerten.
»Du hast es zum ersten Mal geschafft, Ira …«, sagte Martin. »Damit hat sich am Ende doch etwas geändert, oder nicht?«
Irina schüttelte den Kopf. »Nicht ich habe das geschafft, Martin. Das hast du geschafft.«
Niemand griff sie an.
Die Veranda vor dem Eingang der Station war leer. Sie gingen die Stufen hinauf, Martin öffnete die Tür, hielt sie auf, bis Irina hindurchgetreten war. Dann sah er sich noch einmal um.
Niemand veranstaltete eine Hatz auf sie.
Dafür brannte es an verschiedenen Stellen der Stadt.
»Viel Erfolg, Mädchen«, flüsterte Martin, während er auf Dshork blickte. Dann folgte er Irina und schloss die Tür hinter sich.
Sie hatten die Station erreicht. Damit waren sie absolut sicher. Niemals hatte irgendwer jemandem auf dem Gelände der Schließer Leid zugefügt.
»Geschafft«, sagte Martin. »Ira, wir haben es geschafft!«
Töricht lächelten sie einander an.
Die Vorherbestimmung war durchbrochen.
Irina Nummer sechs war am Leben geblieben.
»Hast du eine Geschichte für die Schließer?«, wollte Martin wissen.
Die Frau nickte. »Wovon wirst du erzählen?«, fragte sie.
Martin machte eine Kopfbewegung Richtung Eingangstür. »Von denjenigen, die weiterzugehen vermögen. Von denjenigen, die zurückbleiben. Und davon, dass diese Geschichte sich nicht zum ersten Mal ereignet.«
»Meine Geschichte ist einfacher«, gestand Ira. »Aber vermutlich wird sie ausreichen.«
»Dann lass uns gehen«, entschied Martin. »Erzählen wir unser Märchen und …«
»Wohin gehen wir?«
Martin erstarrte. Er sah Irina in die Augen. »Nach Talisman?«, fragte er seufzend.
»Ja. Dort ist mein anderes Ich, Martin. Ich kann sie nicht aufgeben. Umgekehrt würde sie mir das auch nicht antun.«
»Gut, dann nach Talisman«, gab Martin sich geschlagen. »Dabei würde ich so gern nach Hause …«
»Ich auch.«
Der Korridor führte in den Warteraum. An allen Wänden gingen kleine Kabinen für die Gespräche mit den Schließern ab. Zwei Türen standen offen.
»Sie warten schon«, bemerkte Martin.
»Sie warten immer«, erklärte Irina. »Also dann … viel Glück!«
Bevor sie jeweils ihre Kabine betraten, küssten sie sich. Flüchtig nur und ohne Leidenschaft – wie Freunde, nicht wie Geliebte.
»Einsam ist es hier und traurig«, sagte der Schließer.
»Schon bald wird es weitaus lustiger sein«, antwortete Martin, während er sich an den Tisch setzte. Die Thermowaffe der Aranker hatte er, einem unverständlichen Drang folgend, auf den Tisch gelegt. Ihn verlangte nach einer unmissverständlichen Geste, mochte sie auch noch so aufgesetzt wirken.
»Sprich mit mir, Wanderer«, fuhr der Schließer fort.
Er war dürr und sehnig, größer als Martin, wirkte aber dennoch fragil und verletzbar. So sollte ein Gebieter über die Galaxis nicht aussehen …
Andererseits blieb zu fragen, wann sich die Mächtigen eigentlich durch Körpergröße und Statur hervorgetan hatten? Doch wohl nur in der Verblendung höfischer Speichellecker.
»Ich werde von denjenigen erzählen, die in der Mitte bleiben«, fing Martin an. »Nicht von den Verlierern, denn ihre Geschichte wäre zu bitter und langweilig. Aber auch nicht von den Siegern, denn ihre Geschichte lässt sich mit Worten nicht erzählen. Die Menschen in der Mitte sind Verlierern wie Gewinnern stets zahlenmäßig überlegen. Auf jedem Planeten, bei jeder Rasse … selbst bei den Schließern.«
Ohne zu blinzeln sah der Schließer Martin an.
»Früher ließen sich Probleme sehr einfach lösen«, sagte Martin. »Wenn ein Stamm Verstand gewonnen hatte, der andere jedoch noch eine Horde war, verspeiste man ihn kurzerhand. Man erklärte ihn zum Ziel für den Pfeil, den dieser Stamm sich nicht hatte ausdenken können. Machte aus ihm beinerne Lanzenspitzen. Das waren einfache Zeiten, die noch lange in dieser Weise fortdauerten. Diejenigen, die bei dem Wettlauf zu spät kamen, die auch nur einen halben Schritt zurückblieben, versklavte man. Man trieb sie in Reservaten und
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