Spekulation in Bonn
uns mal die Möglichkeiten abklopfen: Depressionen am Arbeitsplatz – schwach, sehr schwach. Keine ärztliche Behandlung vermerkt, kein Hinweis, der die Feststellung stützt. Familienkrach – entfällt, Sexeskapaden – keine, finanzielle Schwierigkeiten – auch keine.«
»Wieso eigentlich nicht?« fragte Lupus spontan. »Die haben wir sogar als glückliche Erben unserer Villa.«
»Daran haben die Ermittler in Koblenz auch gedacht.« Der Kommissar blätterte noch einmal zurück. »Das Haus wurde mit Mitteln der Frau und mit zuteilungsreifen Bausparverträgen erworben und umgebaut. – Aber bei einer Dreiviertelmillion läppern sich auch die Folgekosten zusammen.«
»Und jetzt…?« setzte Lupus mit einer Frage an.
»Jetzt nach seinem Tod ist der Bau schuldenfrei. Die Versicherung hat gezahlt, schließlich gab es die krankhaften Depressionen. Freunde – ich bleibe dabei: Benker hat sich erschossen, weil er keinen Ausweg mehr sah und weil er der Familie den Absturz in Schande und Armut ersparen wollte.«
»Ein ehrenwertes Motiv, Chef«, meinte Ahrens.
»Hm, vielleicht. Aber was hat er vorher angestellt?«
Lupus überlegte nicht lange: »Da drängt sich einem doch die Frage auf: Hat Benker Informationen geliefert und dafür Geld erhalten? – Aber der MAD sieht nichts, hört nichts, weiß nichts. Kurzum, er ist genauso schlau wie unser CEBI.«
»…mit dem Kopf«, murmelte Freiberg und fragte nach einer langen Pause: »Wem nützt sein Tod?«
»Ja, wem nützt es, wenn der Informant tot ist?« rief Lupus erregt. Als er merkte, wie sein Chef aufschreckte und zu einer Antwort ansetzte, sagte er: »Entschuldige, Walter, diese hintersinnigen Überlegungen rauben mir den letzten Nerv.«
»Schon gut. Die Frage ist durchaus berechtigt, wer hat den Nutzen vom Tod eines Informanten? In diesem Falle wohl nur die Bundeswehr; die Versorgung der Familie ist ein ganz anderes Problem. – Aber meine Frage galt unserem Erhängten vom Stadtwald, nicht dem Selbstmörder am Brückenpfeiler. Warum wurde Doktor Korbel umgebracht, wenn es keine Rache an einem lausigen Liebhaber oder an einem verhaßten Kollegen war? Also – wem war er im Wege?«
Die Frage stand im Raum. Freiberg hätte jetzt gern eine Tasse Kaffee getrunken, doch Fräulein Kuhnert war noch nicht zurück. Er war sicher, daß in diesem Fall nur wenige Steine fehlten, um die Dominoreihen aneinanderzulegen. Lehrsätze aus der Schulzeit kamen ihm in den Sinn: Sind zwei Größen einer dritten gleich, so sind sie untereinander gleich. Die dritte konnte nur Doktor Korbel sein. Doch was waren die beiden anderen Größen? Seine Gedanken rutschten ab in die Mengenlehre, die ihn schon auf der Penne zur Verzweiflung getrieben hatte. Nun war es aus mit der kreativen Spekulation; doch er wußte, daß nur wenige Steine fehlten im Spiel.
Die vor sich hin brütende Männerrunde wurde aufgeschreckt, als die Kommissarin im Ehrenamt mit dem ihr eigenen Ungestüm die Tür aufstieß und durch eine fröhliche Begrüßung die verknoteten Gedanken verscheuchte. »Mission beendet! Mit Dank die R4-Schlüssel zurück.« Fräulein Kuhnert betrachtete abwägend die Gesichter ihrer Mannen. »Ich weiß, was fehlt. – Nur einen Augenblick, dann wird berichtet.« Sie ging zum Schrank in ihrem Zimmer, Geschirr klapperte, der Wasserkran lief, und ein Schalter machte »klick«. Nach wenigen Minuten dampfte der heiße Kaffee in den angeschlagenen Tassen, und Fräulein Kuhnert setzte sich zu Ahrens an den Besuchertisch. »Die ›weiße Dohle‹ hat gesungen. So ein Frust und solche Einsamkeit machen gesprächig. Sie sieht sich umgeben von Hochstaplern und Betrügern. Ob krankhafte Verklemmung oder bittere Wahrheit – ich weiß wirklich nicht, was dahintersteckt. Jedenfalls hat sich Fischbachs Sekretärin – Elma Sandow heißt sie – ein sehr seltsames Bild von ihrer Firma zurechtgelegt, in der sie schnellstens kündigen will. Nur Arno von Sendenstein tut ihr leid; der scheint der ruhende Pol in der Koordinata zu sein.«
»Und ihr konntet frei sprechen im Wartezimmer?« vergewisserte sich Freiberg.
Fräulein Kuhnert lachte. »Kein Problem. Drinnen war es so voll, daß wir uns ein ruhiges Plätzchen auf dem Gang gesucht haben. Also, Frau Sandow hält ihren Chef, kurz gesagt, für einen Sittenstrolch. Über sein Verhältnis mit der Martha Nikols war sie bestens orientiert. Sie wußte auch, daß die beiden regelmäßig die Spielbank in Bad Neuenahr besuchen.«
Freiberg schüttelte den Kopf.
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