Spiegel der Offenbarung
draufkommen musste. Mein unfreiwilliger Ausflug dank des Schattenlords zeigt deutlich, dass jede Menge schiefgehen kann. Und sagen wir mal so. Wäre ich denn wirklich gegangen, wenn ich es gewusst hätte?«
Sie ergriff Milts Hand. »Zuerst mal hätte ich Zoe nie im Stich gelassen, und dann hätte ich dich nicht verlassen wollen. Und Finn auch nicht. Überhaupt alle. Ich hätte es mir nie verziehen, nicht zu erfahren, was aus euch geworden ist und ob ich dank meiner Gabe nicht etwas hätte bewirken können. Und ihr hättet mir nie verziehen, dass ich mich feige davongemacht und euch im Stich gelassen habe.«
»Hätte ich doch«, brummelte Milt.
»Nein, hättest du nicht.«
»Dann wärst du eben geblieben und hättest etwas bewirken können mit deiner Gabe ...«
» Hab ich doch.«
Milt blinzelte irritiert.
Laura wies auf das Herrscherpaar. »Wir sind jetzt hier, und sie sind frei.« Sie sah die beiden an. »Hätte es etwas geändert, wenn ich es früher herausgefunden hätte?«
»Nein«, stellte Anne klar. »Die Hürden mussten alle genommen werden. Eine Abkürzung hätte es nicht gegeben. Nur mit deiner Gabe allein hättest du diesen Palast nicht finden können.«
»Und ich hätte sowieso nicht danach suchen können, solange Alberich in Morgenröte saß. Also ... beenden wir das.« Sie sah ihre Freunde der Reihe nach an. »Es ist in Ordnung. Macht euch keine Gedanken. Ich muss damit natürlich erst fertig werden, aber das hat nichts mit euch zu tun.«
Sie lächelte plötzlich. »Im Gegenteil. Ich sollte froh darüber sein, denn mir blieb einiges erspart. Dadurch wurde ich nie in Versuchung geführt, mich davonzuschleichen, sobald es brenzlig wurde, und das hat mich vor etlichen innerlichen Konflikten bewahrt. Wenn ihr so wollt, hat es mein Seelenheil bewahrt.«
Robert lenkte die Aufmerksamkeit auf sich. »Habt ihr euch gestärkt?«, fragte der König. »Dann sollten wir langsam aufbrechen.« Er stand auf.
»Ja – und wohin?« Finn sprach zum ersten Mal wieder. »Wie geht es denn jetzt weiter? Was ist mit dem Schattenlord? Und unserer Frist?«
»Oh, das lässt sich alles klären«, behauptete Robert munter. »Zunächst sollten wir nach Morgenröte gehen und uns dem Volk zeigen. Zumindest ist dann sichergestellt, dass Innistìr nicht schlagartig zerfällt. Was eure Frist betrifft, haben wir noch ein paar Tage Zeit. Also kümmern wir uns erst einmal um Priorität eins.« Er wies auffordernd zu Anne, die ebenfalls aufgestanden war, und dem Beispiel mussten alle folgen.
Anne nickte und übernahm. »Komm, Laura, ich zeige dir etwas. Ihr anderen könnt selbstverständlich dabei zusehen.«
Die Königin führte die junge Frau auf den Balkon hinaus und deutete zu dem Turm. »Der ist dir aufgefallen, nicht wahr?«
»Ja.«
»Er hat zudem eine wichtige Bedeutung. Er ist der Zugang zu jenem Ort, der dein Ziel darstellt.« Sie machte eine ausholende Geste, und Laura musste sich an der Brüstung festhalten.
»Der Hügel!«, stieß sie hervor. »Das ist der Hügel, den ich bei der Geistreise gesehen habe!«
Der letzte Vorhang war gefallen. Wo vorher »nichts« gewesen war, lag nun ein Hügel, direkt hinter dem Turm, von dessen Spitze aus sogar eine Brücke hinüberging. Nur ein paar Schritte von dieser Brücke entfernt führten Steinstufen nach oben zur Kuppe des Hügels, und Laura sah wieder das gleißende Leuchten. Wenigstens wurde sie nicht erneut vom Blitz getroffen.
»Was hat dieses Licht zu bedeuten?« Milt und Finn traten neugierig näher, wohingegen die Elfen im Hintergrund blieben.
Naburo warf einen Blick dorthin und zuckte die Achseln. »Ein Spiegel«, stellte er fast gelangweilt fest.
»Ganz recht«, bestätigte Anne und wandte sich der Gruppe zu.
»Einhundertfünfundzwanzig Stufen führen dort hinauf«, erklärte die Königin. »Dieser drei Meter hohe und zwei Meter breite Spiegel heißt Spiegel der Offenbarung . Der Priesterkönig Johannes konnte mithilfe dieses Spiegels die Geschehnisse in seinem Reich verfolgen und darin auch die kleinste Verschwörung gegen seinen Thron erkennen. Dieser Spiegel ist der Schlüssel.«
»Und der Spiegel kommt von ...?«, hakte Naburo nach.
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete Anne, und ihr Gesicht verfinsterte sich. »Ich habe den Spiegel nicht erschaffen, das war entweder mein Vater persönlich, oder er hat den Spiegel von irgendwoher besorgt .« So, wie sie das Wort betonte, war damit bestimmt nicht »geliehen« oder »gekauft« gemeint. »Das geschah
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