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Stressvermeidung und für Zeitmanagement an, sondern auch normalen Angestellten. Das ist ein Trend in der deutschen Wirtschaft.
"Die unternehmerischen Risiken werden immer stärker auf die Arbeitnehmer verlagert", sagt Hilmar Schneider, Direktor für Arbeitsmarktpolitik am Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit. Früher sicherte die Muskelkraft den Erfolg eines Arbeitnehmers, heute ist erfolgreich, wer mental leistungsfähig ist. "Das betrifft nicht nur die Top-Leute. Pförtner, Kassiererinnen – alle übernehmen heute unternehmerische Verantwortung", sagt der Ökonom.
Diese Autonomie hat ihren Preis, denn niemand ist in der Lage, sieben Tage in der Woche rund um die Uhr verfügbar zu sein. "Die Firmen müssen lernen, langfristig gesund zu sein", sagt Schneider. Dabei fangen sie erst an, sich Regeln für diese neue Welt zu geben. "Bei allem, was möglich ist, bleibt der Mensch die natürliche Grenze für das, was machbar ist", sagt Schneider.
Doch in vielen Firmen ist durch alle Hierarchieebenen hindurch heute 24-Stunden-Tag: Die Filiale in Mumbai läuft schon auf Hochtouren, wenn in deutschen Büros morgens die Arbeit beginnt. Und am frühen Nachmittag melden sich die ersten Kollegen aus dem gerade erwachenden New York oder aus São Paulo.
Herzogenaurach ist so eine globale Stadt geworden, mitten in Mittelfranken. "World of Sports" heißt die Firmenzentrale von Adidas, hinter Nike der zweitgrößte Sportartikelhersteller der Erde. 2900 Menschen arbeiten allein hier, sie stammen aus 50 verschiedenen Nationen.
"Aus dem fränkischen Unternehmen ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten ein globaler Arbeitgeber geworden", sagt Matthias Malessa. Er ist der Personalchef von Adidas – also jener Mann, den Pressesprecher Jan Runau in seinem Urlaub schnell kontaktiert hatte.
Malessa sitzt entspannt im Büro mit Blick auf den weitläufig-grünen Firmencampus. Von hier aus kümmert er sich um die 42 000 Mitarbeiter weltweit.
Dass Teams, zusammengesetzt aus Angestellten auf mehreren Kontinenten, gemeinsam über verschiedene Zeitzonen hinweg an Projekten arbeiten, gehört bei dem Sportartikler zum Alltag. "Sie müssen heute anders führen als früher", sagt Malessa. In speziellen Seminaren werden die Top-Kräfte auf die Leitung virtueller Teams vorbereitet.
Einmal im Jahr treffen sich die Arbeitsgruppen in der Regel persönlich. "Dieser Kontakt ist unverzichtbar", sagt Malessa. Dazwischen wird per Skype, Telefon- oder Videokonferenz regelmäßig die laufende Arbeit besprochen. In seinem eigenen Bereich schaltet sich der Personalchef mit seinen Kollegen weltweit alle zwei Wochen zum Jour fixe zusammen.
Gerade hat Malessa wieder ein neues Team zusammengestellt: Die Chefin sitzt in Thailand, ihre Mitarbeiter sind in Deutschland, England, Singapur, Japan und den USA beschäftigt. Für die Zeit des Projekts, das mehrere Monate laufen soll, sind zwei persönliche Treffen aller Teilnehmer geplant.
"Wir wollen keine Stechuhrmentalität, aber wir wollen auch keine Mitarbeiter, die rund um die Uhr arbeiten", sagt Malessa.
An allen Standorten von Adidas gilt eine Kernarbeitszeit von 9 bis 18 Uhr. Doch in globalen Firmen wie dieser sind Termine am frühen Morgen oder am späten Abend selbst bei ausgeklügeltem Zeitmanagement nicht zu vermeiden. "Deshalb bieten wir unseren Leuten ausdrücklich an, auch während der Arbeitszeit Sport zu treiben und für einen Moment abzuschalten", sagt der Manager.
120 verschiedene Sportprogramme hat das Unternehmen im Angebot. Irgendwo findet auf den firmeneigenen Sportplätzen immer irgendein Match statt, sei es im Tennis oder im Basketball.
Wer seine Belastungsgrenzen nicht kennt, bekommt sie im Zweifelsfall von seinem Personalchef persönlich gezeigt. Kürzlich fiel Malessa auf, dass in Hongkong regelmäßig bis tief in die Nacht hinein gearbeitet wurde. Als auch nach mehreren Ermahnungen die Mitarbeiter ihre Büros nach Feierabend nicht räumten, ließ er in Hongkong kurzerhand abends den Strom abstellen.
Nicht nur der Milliardenkonzern Adidas operiert heute global. Auch die Beschäftigten vieler hiesiger Mittelständler sind von der weltumspannenden Beschleunigung und Verdichtung betroffen. Entweder die Firmen haben selbst internationale Dependancen, oder sie sind Teil der engmaschigen Lieferketten anderer Unternehmen.
Allein aus Budgetgründen ist es für sie ungleich schwerer als für große Konzerne, teure Gesundheitsprogramme aufzulegen – und doch müssen auch sie auf den Wandel
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