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Beim Werkzeugmaschinen- und Laserspezialisten Trumpf im schwäbischen Ditzingen können Arbeitnehmer sich ihre Arbeitszeiten maßschneidern, um Beruf und Privatleben wieder in Einklang zu bringen. "Die Ansprüche unserer Mitarbeiter an ihren Arbeitsplatz verändern sich", sagt Nicola Leibinger-Kammüller, Vorsitzende der Geschäftsführung von Trumpf. "Vor allem verändern sie sich im Zeitablauf: 25-jährige Hochschulabsolventen möchten anders arbeiten als 40-jährige Väter oder Mütter. Wer auf den Hausbau spart, hat andere zeitliche Wünsche als jemand, der Angehörige pflegen muss."
In ihrem hochflexiblen Arbeitszeitmodell können die Mitarbeiter alle zwei Jahre neu entscheiden, wie lange sie arbeiten wollen. In einem Korridor von 15 bis 40 Stunden pro Woche haben sie die freie Wahl. Daneben steht eine zweite variable Komponente: Bis zu tausend Stunden können die Mitarbeiter auf ein individuelles Zeitkonto einzahlen, von dem sie es später für eine längere Pause wieder abrufen dürfen. Oder sie nutzen die angesparte Zeit, um damit bei normalem Lohn weniger arbeiten zu müssen. "Unsere Mitarbeiter haben jetzt die Wahl, wie viel sie wann in ihrem Leben arbeiten wollen", so Leibinger-Kammüller. "Und diese Wahl haben sie immer wieder."
Trumpf ist mit 8000 Mitarbeitern einer der größeren Mittelständler und kann sich ein solches Modell zum eigenen Vorteil leisten. Denn es bietet den Mitarbeitern nicht nur mehr Autonomie, sondern dem Unternehmen noch größere Flexibilität.
In den deutschen Betrieben findet seit den neunziger Jahren eine stille Revolution statt. Überall haben schlanke Herstellungsmethoden Einzug gehalten, oft wird nur noch "just in time" produziert – so, wie die Aufträge hereinkommen. "Wenn es keine Lager mehr gibt, dann wird der Mensch, gesteuert über flexible Arbeitszeiten, zum Puffer", sagt der Arbeitsmarktforscher Gerhard Bosch. Es ist ein System, das keine Fehler erlaubt und in dem deshalb überforderte Mitarbeiter zum Risiko werden.
So wird es zum Ziel der Unternehmen, ihre Beschäftigten nicht kurzfristig zu verheizen, sondern kontinuierlich Leistung abzufordern. "Mittlerweile sind Krankheitstage und Unfallzahlen Kriterien bei der Leistungsbewertung vieler Manager", sagt Bosch. Deshalb ist in den großen Unternehmen das Gesundheitsmanagement in der Priorität nach oben gerutscht. "Die machen sich mittlerweile auch über gesundes Essen Gedanken", sagt Bosch.
Kleinere Firmen und Mittelständler glauben indes oft, nicht über genügend Mittel und Ressourcen zu verfügen. Dabei fehlt meist nur das Know-how. Manchmal sind es die einfachen, naheliegenden Ideen, die den Burnout vermeiden helfen – wie bei Niederegger in Lübeck.
Es ist zehn Uhr am Vormittag. Die Frühschicht läuft seit vier Stunden. Dann stoppen alle Bänder in den Produktionshallen der Marzipanfabrik. Die Mitarbeiter mit ihren weißen Hauben und den hellen Kitteln verlassen die Bänder, auf denen üblicherweise die Pralinés in Espresso-, Prosecco-Frucht- oder Rum-Trüffel-Geschmack an ihnen vorbeigleiten. Neben den Maschinen beginnt dann eine zehnminütige Gymnastik.
Die Frauen stellen sich auf die Zehenspitzen und recken die Hände zur Decke, sie heben und senken Kopf und Schultern, machen Kniebeugen, stemmen die Arme nach vorn. Es wird nicht nur geschwitzt, sondern auch gelacht.
Bandarbeit ist starr und berechenbar. Zugleich wird die Belegschaft älter, 80 Prozent der Niederegger-Beschäftigten sind weiblich, 50 Prozent von ihnen jenseits der 50 Jahre. Um die Folgen von Monotonie und gestiegenen Anforderungen in den Griff zu kriegen, hat das Familienunternehmen deshalb vor einiger Zeit mit einem eigenen Gesundheitsmanagement begonnen, zu dem das seltsam anmutende Bandballett gehört, aber auch ein Entwöhnungsprogramm für Raucher und Yoga in der Kantine.
"Manche unserer Mitarbeiter fanden die Gymnastik anfangs lächerlich", sagt Petra Wischnewski, die seit 33 Jahren bei Niederegger arbeitet und das Programm koordiniert, "aber die ist nicht trivial. Die Zufriedenheit ist seitdem gestiegen und der Krankenstand gesunken."
Die Maßnahmen für die 500 Mitarbeiter in Lübeck haben das Ziel, die Älteren länger gesund in der Firma zu halten. Wie Niederegger-Inhaber Holger Strait rechnen drei Viertel der deutschen Unternehmen mit gravierenden Folgen des demografischen Wandels. Das sind Ergebnisse einer aktuellen DIHK-Umfrage unter rund 28 000 Unternehmen.
Die Bevölkerungsentwicklung –
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