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sollen, denn "psychosoziale Schieflagen betreffen selten nur den einzelnen Mitarbeiter, sie können gravierende Auswirkungen in ganzen Teams, ganzen Bereichen haben", sagt Sattelberger. "Wer da wegschaut, darf sich nicht wundern, wenn das Unternehmen von innen heraus krankt."
So wurde festgelegt, dass außerhalb der üblichen Arbeitszeiten und am Wochenende ein "Smartphone-Verbot" gilt, E-Mails und Anrufe müssen nicht mehr beantwortet werden, niemand hat Konsequenzen zu befürchten, wenn er sich tatsächlich an dieses Gebot hält. "Wir müssen unseren Mitarbeitern die Möglichkeit geben, Beruf und Privatleben auszubalancieren und zu entschleunigen. Veränderungen im Unternehmen müssen für die Menschen verdaubar sein", predigt Sattelberger. "Die tragischen Fälle bei der France Télécom sind da warnendes Beispiel."
Das alles sind eher Absichtserklärungen, die erst noch gelebte Unternehmenskultur werden müssen. Es gibt durchaus Ehepartner von Führungskräften der Telekom, die sagen: "Von einem Smartphone-Verbot merke ich nichts." Und es gibt Unternehmensberater, die erzählen, dass von ebenjenen Telekom-Managern, die selbst ihr Handy am Wochenende beiseitelegen, freitags noch Aufträge erteilt werden, die am Montagmorgen erledigt sein müssen.
Mitunter reagieren Firmenleitungen auch erst dann, wenn der Druck von außen kommt, wie im Falle Daimler. Dort beklagten die Arbeitnehmervertreter der rund 12 000 Beschäftigten in der Stuttgarter Zentrale lange Zeit vielfältige Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz, nach dem höchstens zehn Stunden pro Tag gearbeitet werden darf. Sie wehrten sich auch gegen das massenhafte Verfallen von Überstunden.
Zwar forderte Daimler seine Mitarbeiter in den Entwicklungsabteilungen, im Vertrieb oder im Marketing nicht direkt zur kostenlosen Mehrarbeit auf, aber der Konzern nahm die unbezahlten Überstunden billigend in Kauf. Es stellte sich heraus, dass in der Vergangenheit rund 750 000 unbezahlte Arbeitsstunden angefallen waren – das entspräche umgerechnet rund 500 neuen Jobs.
Die Betriebsräte schalteten die Gewerbeaufsicht ein, reichten Klage ein, zogen bis zum Bundesarbeitsgericht. Erst als dort festgestellt wurde, dass Daimler "nicht tatenlos" hätte zuschauen dürfen, akzeptierte die Konzernspitze, dass Überstunden nun in einem sogenannten Ampelsystem erfasst werden.
Heute befinden sich 82 Prozent aller Mitarbeiter in der Daimler-Zentrale im "grünen oder gelben Bereich". Wer "rot" sieht, muss zu Hause bleiben und seine Überstunden abbauen. Auch das ist ein Weg aus der Burnout-Falle.
Aber der Stressfaktor Chef gerät neuerdings ebenfalls ins Visier. Studien belegen, dass Führungskräfte den Krankenstand ihrer Abteilungen quasi mitnehmen, wenn sie ihren Arbeitsplatz wechseln. Bereits vor Jahren hat Volkswagen in seinen Werken probeweise Vorgesetzte aus Bereichen mit überdurchschnittlich hohen Krankheitsraten in solche mit geringen Fehlzeiten versetzt. Resultat: Bereits nach einem Jahr hatten die Manager mit neuer Mannschaft wieder ihren alten Krankenstand erreicht.
"Zu den größten Stressfaktoren im Beruf zählen die Unsicherheit über die eigene Position im Unternehmen, der Mangel an Vertrauen zwischen Chefs und Untergebenen, permanente Überforderung durch unrealistische Vorgaben oder sinnfreie Aufgaben", sagt Gerhard Bosch vom Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg/Essen.
Der MAN-Konzern etwa befragt derzeit alle seine Mitarbeiter weltweit zu ihrer Zufriedenheit am Arbeitsplatz – und mit ihren Chefs. Heute reicht es nicht mehr aus, dass sich Vorstände allein mit Unternehmensstrategien und Renditezielen auseinandersetzen. Sie müssen sich auch um das Klima in ihrer Firma kümmern.
"Wir müssen offen darüber sprechen, ob die Vorgesetzten Teil der Lösung oder Teil des Problems sind", sagt Personalvorstand Schwitalla. Reichen sie einfach die Vorgaben nach unten durch und schauen zu, wie ihre Untergebenen damit fertig werden? Oder filtern sie den Druck und setzen Prioritäten? Akzeptieren sie, dass ihre Mitarbeiter neben dem Beruf auch noch ein Privatleben haben? Fördern sie es gar?
"Sie müssen als Vorstand die Regeln vorleben, die Sie aufstellen, sonst setzen Sie sich nicht durch", sagt Schwitalla. So gilt auch für seine eigene Konzernspitze die ungeschriebene Regel, dass an Wochenenden keine dienstlichen E-Mails geschrieben werden und man nicht miteinander telefoniert.
MAN bietet nicht nur Führungskräften Seminare zur
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