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SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)

SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)

Titel: SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Mascolo
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einem ersten Schritt hat Merck nun den "Allen antworten"-Button bei E-Mails schwerer zugänglich gemacht und in den Tiefen der Menüführung versteckt. Damit soll der virtuelle Müll begrenzt werden. Ein Anwender kann nicht mehr reflexartig auf diesen Button klicken, sondern muss ihn gezielt ansteuern und wird dann gefragt, ob er wirklich an alle in der Mail-Historie antworten will.
    "Warum sollen 70 Leute im Verteiler lesen, was in Wahrheit nur 2 zu interessieren hat", fragt Beckmann. Dabei ist für seine jüngeren Konzernkollegen die E-Mail schon ein langsames Medium von gestern, sie verlangen Instant-Messenger auf ihren Computern, um sich mit Kollegen per Chat in Echtzeit auszutauschen.
    "Wir leben in exponentiellen Zeiten", sagt Beckmann. Und Markus Promberger, Arbeitssoziologe am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg, flankiert: "Wir befinden uns in einer Phase des Übergangs, in den Betrieben entstehen nachindustrielle Organisationsformen."
    Die Arbeit trennt sich vom Ort, Raum- und Zeitgrenzen verlieren an Bedeutung. Diese Beschleunigung bietet neben Risiken auch Chancen. "Ein schnelles Leben ist interessant", sagt Promberger, "aber es gibt auch Menschen, die fürchterlich draufzahlen."
    Der Wissenschaftler lässt keine Zweifel daran, dass das permanente Experimentieren in der Wirtschaft weitergehen wird. "Was technisch machbar ist, wird auch gemacht. Die Risiken versucht man dann später wieder einzufangen", wobei die Arbeitswelt derzeit nicht zum ersten Mal einen dramatischen Wandel erlebt.
    Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts arbeiteten acht von zehn Europäern in der Landwirtschaft. Gelebt und geackert wurde in der Hauswirtschaft. Ein knappes Jahrhundert, von der Erfindung des mechanischen Webstuhls bis zu den dampfmaschinenbetriebenen Fabriken, reichte aus, um die vorindustrielle Arbeitswelt auszulöschen.
    Doch keine 150 Jahre später löst sich auch die Arbeitsform der Industriegesellschaft auf – acht Stunden in der Fabrikhalle oder im Büro, jeden Tag bei einem festen Arbeitgeber. Und auch wenn die New Economy um die Jahrtausendwende nur eine kurze Episode wilder Kursfeuerwerke war, so hat sie das Wertesystem der Arbeitswelt doch grundlegend revolutioniert. Die Trennung von Beruf und Freizeit wurde unscharf und in Frage gestellt. Seither gilt der Arbeitnehmer als Unternehmer in eigener Sache, was mitunter dramatische Folgen zeitigt.
    Seit Mitte 2008 nahmen sich bei der France Télécom 60 Beschäftigte das Leben. Viele von ihnen beschrieben in ihren Abschiedsbriefen eine "Atmosphäre von Angst und Stress" im Beruf und beklagten das Unverständnis der Firmenleitung dafür.
    Für Thomas Sattelberger war das ein Schock und der Moment, an dem er innehielt und fragte: Wie sieht es eigentlich bei uns aus? Sattelberger ist Personalvorstand der Deutschen Telekom in Bonn, des IT-Riesen mit weltweit 247   000 Mitarbeitern, davon allein 123   000 in Deutschland. Und auch wenn das Unternehmen einst aus einem Staatsbetrieb hervorging, ist es heute einem besonders rasanten Wandel ausgesetzt.
    Zuerst wurde es in die Privatwirtschaft entlassen, danach börsentauglich gemacht und internationalisiert. Dann wurden Bereiche ausgegliedert, andere zugekauft. Die Belegschaft wurde verkleinert, wieder aus- und umgebaut. Es waren Jahre der Unsicherheit. "Teilweise haben wir unseren Mitarbeitern zu viel zu schnell zugemutet", sagt Sattelberger.
    Ihm wurde klar: Gesundheit war nur ein Nischenthema. Beschränkt darauf, "vor den Kantinen Desinfektionsspender anzubringen oder Pillen für Grippewellen zu horten". Im vergangenen Herbst befragte die Telekom deshalb all ihre Mitarbeiter, wie sie über die Intensität der psychischen Belastungen und das Thema Gesundheit im Unternehmen denken. "Wir haben uns nicht gescheut, die Büchse der Pandora zu öffnen", sagt Sattelberger. Die Telekom sei zwar aus der Umfrage im Schnitt passabel rausgekommen, aber in Teilbereichen waren die Ergebnisse "gemessen an unseren Ansprüchen deutlich zu schlecht".
    Anlass genug für den Personalmanager, Konsequenzen zu ziehen. Als kürzlich im Vorstand übergebührlich strapazierende Vorgaben für rund 20   000 Mitarbeiter im technischen Service vereinbart werden sollten, grätschte Sattelberger dazwischen: "Was da geplant wurde, war deutlich überzogen." Er erreichte niedrigere Ziele.
    In einer Selbstverpflichtung hat sich die Telekom nun eine ganze Reihe Maßnahmen auferlegt, die die mentale und physische Gesundheit fördern

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