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SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)

SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)

Titel: SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Mascolo
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solch seelischer Erkrankungen haben seit 1994 um mehr als 80 Prozent zugenommen. Das hat das wissenschaftliche Institut der AOK ermittelt. Für die Unternehmen sind solche Zahlen alarmierend, denn ein Krankheitstag kostet sie im Schnitt rund 400 Euro. Fällt ein Mitarbeiter wegen eines Burnouts für sechs bis acht Wochen aus, addieren sich die Kosten schnell auf bis zu 16   000 Euro – die verminderte Leistungsfähigkeit vor der Krankheit noch gar nicht einkalkuliert.
    Der volkswirtschaftliche Schaden für arbeitsbedingte psychische Belastungen summiert sich auf 6,3 Milliarden Euro jährlich. Stress ist also zum betriebswirtschaftlichen Problem geworden. Deshalb sehen sich die Unternehmen, die den Trend zum Immer-Mehr und Immer-Effizienter bislang befeuert haben, plötzlich mit gewaltigen Herausforderungen konfrontiert. Und sie erkennen neuerdings, dass auch sie es sind, die gegensteuern müssen.
    Noch ist es ein Tasten und Suchen danach, welche Regeln künftig gelten müssen und welche Wege aus der Burnout-Falle führen. Manche versuchen es mit restriktiven E-Mail-Regeln, andere verschärfen ihre BlackBerry-Politik, künftig soll eben gerade nicht mehr jeder andauernd erreichbar sein. Die einen legen ein umfangreiches Sportprogramm als Ausgleich zur Arbeit auf, die anderen setzen auf Teilzeitregelungen, die mehr Raum für Privates und Familie bringen sollen.
    Noch ist vieles eher PR als Praxis. Und selbst die aktivsten Firmen agieren nicht aus schierer Nächstenliebe – sie tun es, weil sie erkannt haben, dass sie ansonsten einen handfesten ökonomischen Schaden erleiden. Aber was früher als nerviges Problem des Individuums diskreditiert wurde, wird nun als Problem des gesamten Betriebs verstanden. Auch weil der Rhythmus der Arbeitswelt längst den Alltag komplett durchdringt.
    Er beeinflusst Beziehungen, Familie, Freizeit, Leben, Denken. Im Fitnesscenter stählen die Menschen den "Bewegungsapparat", ihren Verstand nehmen sie als Computer mit Festplatte und Arbeitsspeicher wahr. Selbst Banken, Bahnhöfe und Atomkraftwerke werden heute "Stresstests" unterzogen.
    Doch der Vorwurf, dass der Job das Privatleben auffresse, ist nur ein Teil der Wahrheit: Viele geben sich via Twitter, Facebook oder Skype nur zu gern dem Diktat dauernder Transparenz und Erreichbarkeit hin. Seit der Jahrtausendwende galt eher als altbacken, wer noch eine Begrenzung des Arbeitstags forderte. Niemand nutzt den Arbeitnehmer so effektiv und perfide aus wie dieser sich selbst.
    Gerade erst hat der zuständige EU-Kommissar László Andor festgestellt, dass in keinem Land der Euro-Zone der Unterschied zwischen der tarifvertraglich vereinbarten und der tatsächlichen Wochenarbeitszeit so groß ist wie in Deutschland. Vertraglich sind es 37,7 Stunden, tatsächlich arbeiten die Deutschen durchschnittlich 40,4 Stunden lang.
    Für 88 Prozent aller Arbeitnehmer in Deutschland gibt es keinen klassischen Feierabend mehr, weil sie auch daheim stets erreichbar sind. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Umfrage von Bitcom, dem Branchenverband der IT-Industrie.
    "Wir erleben in der Gegenwart eine dreifache Beschleunigung – die des technisches Fortschritts, des sozialen Wandels und des Lebenstempos", sagt der Soziologe und Zeitforscher Hartmut Rosa.
    Was der Soziologe in der Theorie erforscht, begegnet Kai Beckmann Tag für Tag in der Praxis. "Wir ertrinken in einer Informationsflut", sagt er und meint damit jene Reiz- und Kommunikationsübersättigung, der sich viele heute ausgesetzt sehen. Beckmann ist erst seit ein paar Monaten in der Geschäftsleitung des Pharmaherstellers Merck fürs Personalressort zuständig und Herr über 40   000 Mitarbeiter weltweit. Schnell musste er feststellen: Die Zahl der psychischen Erkrankungen in seinem Konzern nimmt kontinuierlich zu.
    Im Jahr 2007 registrierten seine Werkärzte in den deutschen Stützpunkten noch 127 Beschäftigte, die wegen psychosomatischer Störungen in Behandlung waren. Binnen drei Jahren hat sich die Zahl mehr als verdoppelt.
    Erst kürzlich hat Beckmann analysieren lassen, wie viele E-Mails pro Tag im Konzern eingehen oder verschickt werden. Natürlich schwoll die Zahl dramatisch an, innerhalb eines Jahres um mehr als 50 Prozent auf 347   000 – Spam nicht mitgezählt. Dabei ist nicht so sehr die Zahl der E-Mails das Problem, sondern die Zeit, die man benötigt, um sich mit ihnen auseinanderzusetzen. E-Mails sind der Zeit- und Aufmerksamkeitsfresser Nummer eins geworden.
    In

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