Spiegel E-Book - Nelson Mandela 1918-2013
sind weite Teile des Kontinents im Chaos versunken. Von den Unruhen im Kongo über den Biafra-Konflikt, in dem eine Million Menschen starben, bis zum gegenwärtigen Blutbad in Ruanda - Afrika bietet nicht ein einziges Beispiel für den gelungenen Aufbau einer freien und wohlhabenden Gesellschaft.
Gescheitert sind auch zunächst vielversprechende Versuche, einen eigenen Weg zu finden. Der erstrebte afrikanische Sozialismus von Tansanias Präsident Julius Nyerere und Sambias Präsident Kenneth Kaunda mündete in Einparteiendiktatur, Korruption und Massenarmut.
Ein ähnliches Schicksal für ihr Land fürchten Südafrikaner, die ihre Koffer packen oder ihr Firmenkapital in Sicherheit bringen. Südafrikas Zentralbank schätzt, daß voriges Jahr 4,5 Milliarden Dollar abgezogen wurden.
Finanzminister Derek Keys will den Exodus von Menschen und Kapital stoppen: „Unser Land ist anders als der Rest von Afrika“, beschwört er seine Mitbürger, „das war in der Vergangenheit so und wird auch in der Zukunft so sein.“
Tatsächlich verfügt der Kapstaat über die beste Infrastruktur und die meisten gut ausgebildeten Arbeitskräfte in ganz Afrika. Seine vergleichsweise hochentwickelte Wirtschaft erzeugt 60 Prozent des Bruttosozialprodukts südlich der Sahara. Südafrika wirkt auf dem Armutskontinent wie eine Lokomotive, welche die ganze Region aus dem Elend ziehen könnte.
Vom Reichtum des Landes profitiert bislang nur ein Achtel der Bevölkerung - die Weißen. Während sie die Überflußgesellschaft genossen und in einer Art Plantage mit Heloten lebten, vegetiert die Masse der Schwarzen unter Dritte-Welt-Verhältnissen dahin: Zwei von drei Erwachsenen haben keine Arbeit. Über 40 Prozent können nicht lesen und schreiben, für die schwarzen Kinder fehlen 50 000 Klassenzimmer. Sieben Millionen leben in den Elendssiedlungen am Rande der großen Städte, meist in Blechhütten ohne Strom- und Wasserversorgung.
In den Bergwerken, wo sie nach Gold und Diamanten schürften, konnten schwarze Kumpel jahrzehntelang nicht einmal zu Vorarbeitern aufsteigen. Weil nach den Gesetzen der Apartheid kein Schwarzer einem Weißen Weisungen erteilen durfte, gibt es in den Führungsetagen südafrikanischer Unternehmen nur 2 Prozent schwarze Manager. Den 13 Prozent Weißen gehören über 80 Prozent des Bodens und 90 Prozent aller Geschäfte.
Nun fordern die Entrechteten und Benachteiligten Wiedergutmachung. Sein Land der Gegensätze sieht der Friedensnobelpreisträger Erzbischof Desmond Tutu als „Mikrokosmos der Welt“, in dem sich globale Probleme konzentrieren - Spannungen zwischen Weiß und Schwarz, Reich und Arm, Nord und Süd. „Wenn wir es hier schaffen“, sagt Tutu über die Wende am Kap, „dann wird Südafrika ein Musterbeispiel für die ganze Welt.“
Bleibt der Lohn der Freiheit indes aus, wird es kein Ende der Gewalt geben - und keine Zukunft für Südafrika. Millionen Schwarze glauben, daß nach der Wahl für sie ein goldenes Zeitalter anbrechen wird. Die Verheißungen von Mandelas Afrikanischem Nationalkongreß (ANC) verstärken ihre Erwartungen. Eine von oben verordnete Quotenpolitik soll Jobs für Schwarze in der Wirtschaft wie im Öffentlichen Dienst schaffen. Innerhalb von fünf Jahren will die neue Regierung eine Million Häuser bauen, über eine Million Familien mit fließendem Wasser und Spülklosetts versorgen, 2,5 Millionen Haushalte ans Stromnetz anschließen.
Alle Kinder, so verspricht das ANC-Wahlmanifest, sollen zehn Jahre lang kostenlos die Schule besuchen. Für Alte und Minderjährige ist ein Gratis-Gesundheitsdienst vorgesehen.
Schon diese Pläne werden sich schwerlich finanzieren lassen. Viele Schwarze aber wollen mehr - sofort. Sie glauben, daß sie am Tag nach der Wahl den Weißen deren Farmen, Villen und Autos abnehmen können. Schwarze Dienstmädchen und Gärtner malen sich bereits künftige Winterabende im Wohnzimmer ihrer Herrschaften aus.
Doch die werden ihr Eigentum nicht kampflos preisgeben. „Ein Siedler - eine Kugel“, skandieren deshalb die Mitglieder des radikalen Panafrikanistischen Kongresses, dessen Untergrundarmee im vergangenen Jahr wahllos Weiße ermordete. Und selbst im ANC fordern Jugendliche in Sprechchören, wie neulich auf einer Großkundgebung im Orlando-Stadion von Soweto: „Tötet die Buren, tötet die Farmer!“
Einer von ihnen, Charles Ntuli, 22, glaubt, daß im neuen Südafrika die Schwarzen den Weißen zeigen müssen, wer Herr im Lande ist. Da könne es angebracht
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