Spiegel E-Book - Nelson Mandela 1918-2013
sein, „einige von ihnen, vielleicht ein paar hundert“, demonstrativ zu erschlagen.
Das Vergeltungsgeschrei und die übertriebenen Hoffnungen auf raschen Wohlstand kann nur Mandela bremsen, der zum Mythos seines Volkes gewordene Dulder und Widerstandskämpfer.
Mandela glaubte sein Leben lang an ein Südafrika der Schwarzen, Braunen und Weißen. Er wollte dieses Ziel mit einer Doppelstrategie aus bewaffnetem Kampf und Verhandlungsbereitschaft erreichen. Deshalb hatte er schon 1985, fünf Jahre vor seiner Freilassung im Februar 1990, in heimliche Erkundungsgespräche mit Ministern der südafrikanischen Regierung eingewilligt.
Seine Peiniger suchten damals den Dialog, weil einflußreichen Politikern und Intellektuellen der Buren dämmerte, daß die schwarze Mehrheit nicht auf ewig mit Unterdrückungsgesetzen und Waffengewalt niederzuhalten sei. Nach 340 Jahren am Kap sahen sich die Buren nicht mehr als Kolonisatoren, sondern als „Afrikas weißer Stamm“. Im Gegensatz zu den Siedlern im früheren Rhodesien, in Angola oder Kenia haben sie kein Mutterland mehr, in das sie flüchten könnten.
In ihrer afrikanischen Heimat aber fühlen sich die weißen Afrikaner zunehmend verunsichert, obwohl sie bis jetzt alle Stürme am Kap überstanden haben.
Sie trotzten der Empörung über Sharpeville 1960, wo die Polizei 69 Schwarze massakrierte, die gegen diskriminierende Paßgesetze protestiert hatten - eine Bluttat, die dem Rassistenstaat Südafrika weltweit Abscheu eintrug. Sie trotzten lange Zeit den Sanktionen der Uno und dem Aufstand von Soweto 1976, als Schüler gegen die verhaßte Unterdrückersprache Afrikaans protestierten.
Doch die Revolte gegen die weiße Herrschaft breitete sich aus wie ein Buschfeuer; 1985 erkannte der damalige Staatspräsident Pieter Willem Botha, von seinen Gefolgsleuten ehrfurchtsvoll „das alte Krokodil“ genannt, eine „drastische Eskalation des revolutionären Klimas“.
Seitdem ließen sich die Selbstzweifel der einst so unbeirrbaren Buren nicht mehr verbergen, schien es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Apartheid am Kap zu Ende gehen würde.
Aufgewiegelt vom ANC-Slogan „Macht das Land unregierbar“, bedrohten die aufständischen Schwarzen auch die weißen Wohlstandsinseln. Sie legten mit Massenstreiks die Wirtschaft lahm, die ohnehin unter Boykottmaßnahmen litt. Die Völkergemeinschaft brandmarkte den Apartheidstaat als Paria.
Südafrikas Isolation ging erst in der Nacht zum 17. November 1993 zu Ende, als eine Mehrparteien-Konferenz unter Führung von Mandelas ANC und de Klerks Nationaler Partei eine neue Verfassung mit gleichen Rechten für alle Rassen verabschiedete.
Kern des neuen Grundgesetzes ist ein historischer Kompromiß: Für eine Übergangszeit von fünf Jahren darf die weiße Minderheit einen Zipfel der Macht behalten. Jede Partei, die in den Wahlen mindestens fünf Prozent der Stimmen erreicht, soll an der Regierung der nationalen Einheit beteiligt werden. Die zweitstärkste Gruppierung - mit größter Wahrscheinlichkeit de Klerks Nationale Partei - darf den Vizepräsidenten stellen.
Für diese Vereinbarung mußten sich beide Politiker von bis dahin geheiligten Prinzipien verabschieden. Mandelas Massenpartei ANC verzichtete auf das Recht des Wahlsiegers, die alleinige Regierungsgewalt zu beanspruchen; und de Klerk gab sein Vorhaben auf, eine rotierende Präsidentschaft einzuführen, wo ein schwarzer und ein weißer Staatschef einander abgewechselt hätten.
Daß der frühere Apartheidverfechter de Klerk zur Kooperation mit der schwarzen Befreiungsbewegung bereit war, erwies sich als Triumph des Pragmatismus über tief verwurzelte ethnische und religiöse Vorurteile.
Die Rede, mit der de Klerk am 2. Februar 1990 im Parlament von Kapstadt überraschend das Ende der Rassentrennung verkündete, versetzte dem alten System den Todesstoß - so wie die Öffnung der Berliner Mauer das Ende des Kommunismus einläutete. Es war ein einsamer Entschluß, getroffen ohne Absprache mit dem Parteivorstand. Den Text schrieb er mit eigener Hand. „Ich weihte nicht einmal meine Frau Marike ein“, so de Klerk später.
Nur im engsten Freundeskreis zeigte der Mann, dessen Großvater ein Freund des legendären Buren-Präsidenten Paul Krüger war, welche Gefühle in ihm arbeiteten. De Klerks Pastor Pieter Bingle erinnert sich an den Tag der Amtsübernahme des Staatspräsidenten, den 20. September 1989: „Er sagte uns unter Tränen, daß wir für ihn beten sollten, denn Gott
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