Spiegelblut
aufgestanden, und ich spürte, dass er das Thema nicht vertiefen wollte.
»Mit Licht hat man doch normalerweise die Nefarius bestraft? Du hast gesagt, man brannte ihnen damit ein N auf die Brust.«
»Ja, das stimmt. Früher hat man das getan.«
»Ist der Lichtwechsel für alle, die mit Licht gefoltert wurden, so schmerzhaft?«
Er schüttelte den Kopf. »Das liegt sicher an der halben Seele. Ich kann es mir nicht anders erklären.«
»Aber wieso haben sie dich bestraft wie die Nefarius?«
»Sie meinten, ich sei nicht mehr wert als ein Seelenloser, also müsste ich auch so bestraft werden. Sie wollten mich auf den rechten Weg bringen, um Remos Seele nicht zu gefährden, damit er sich nicht an meiner Dunkelheit ansteckte.«
»Und Remo hat es nie aufgeklärt? Du mochtest ihn. Wie stand er zu dir?«
»Er sah in mir einen Vertrauten und gleichsam einen Sündenbock. Er nutzte es aus, dass ich ihn so gern hatte. Zugegebenermaßen war er der Einzige, der mir nicht gleichgültig war, für den ich etwas Gutes empfinden konnte. Wie hätte es auch anders sein können, wir sind eins – auf gewisse Weise. Auf seine sehr eigentümliche Art war er auch mit mir verbunden. Und wenn er heute sagt, er würde nicht bereuen, dass ich für ihn gelitten habe: Das stimmt nicht ganz. Er strich mehr als nur einmal vor den Kerkern herum, er selbst war zerrissen und voller Zweifel. Ich glaube, er hasste sich dafür, aber er konnte einfach nicht anders.«
»Du nimmst ihn immer noch in Schutz«, flüsterte ich fassungslos.
»Er ist mein Seelenbruder, Coco. Er ist ein Opfer des Einen, genau wie ich.«
Sollte ich ihm alles sagen? Er war so ehrlich und offen zu mir. Verdiente er es nicht, die Wahrheit zu erfahren? Dass ich ein Spiegelblut war, dass ich ihm helfen konnte? Wollte ich überhaupt noch fliehen?
Er stand inmitten des dunklen Raums und sah auf mich herab. Seine Schattenaugen waren so düster wie immer, aber ich hatte keine Angst mehr. Es klingt vielleicht verrückt, doch obwohl ich ihn kaum kannte, hatte ich das Gefühl, mehr über ihn zu wissen als über jeden anderen.
»Wenn ich dich fragen würde, wer Damontez Aspertu ist, was würdest du mir antworten?«, wollte ich wissen und war erstaunt, als er selbst darüber nachzudenken schien.
»Und wer bist du, Coco-Marie Lavie? Wer bist du, wenn du nicht gerade rebellierst und dich allem widersetzt?«
Ich lächelte ein bisschen. »Ich bin die, die dich eines Tages um den Verstand bringt. Die, die alle verliert, die sie liebt. Die, die Kindergräber und Jasmin hasst. Und die, die Angst hat, dich zu lieben und zu verlieren.«
»Es tut mir leid, Coco. Es tut mir wirklich leid. Hätte ich dein Schicksal geschrieben, hätte ich dir mehr Glück zugedacht.« Noch immer stand er mitten in dem Raum, der so leer und dunkel wirkte wie er selbst, nicht ahnend, dass er bereits ein Teil des wenigen Glücks war, das ich in meinem Leben erfahren hatte.
»Und wer ist Damontez Aspertu?«
»Ich weiß es nicht, Coco. Ich bin der Teil einer Seele, der immer aufgepasst hat, dass sie nicht verloren geht.«
»Das ist sehr, sehr viel. Es sagt viel mehr über dich aus, als du denkst.«
»Nein, es ist egoistisch. Ich achte darauf, da ich dem Seelentod entgehen will. Nicht, weil mir so viel am Gutsein liegt.« Er legte den Kopf etwas zur Seite und musterte mich, wie um herauszufinden, was ich davon hielt.
»Das hast du gesagt.« Ich zog die Augenbrauen hoch. »Magst du Musik?«
»Ich weiß es nicht.«
»Du weißt es nicht?«
»Es gibt wenig, das mich erfreut. Freude ist ein gutes Gefühl, Coco.«
»Gab es etwas in den letzten Jahren, das dir Freude gemacht hat, irgendetwas?«
Er nickte, doch er lächelte nicht. »Du bist es.«
»Dann hat Remo die Wahrheit gesagt? Dass ich dir nicht gleichgültig bin?«, flüsterte ich. Wieso kam er nicht zu mir, wieso stand er dort im Zimmer und starrte mich an?
»Aber es darf nicht sein. Er hat recht. Es darf einfach nicht sein. Jedes Mal, wenn ich das Gefühl zulasse, benutze ich ihn.«
»Er hat dir so lange die schrecklichsten Dinge zugemutet. Er ist es dir schuldig!«, widersprach ich. »Er kann es dir nicht verbieten.«
»Nein, das kann er nicht. Aber er wird es nicht dulden. Du hast gehört, was er gesagt hat. Wenn ich meine Gefühle nicht in den Griff bekomme, wird er dich töten oder dich mir wegnehmen. Sein Clan ist größer als meiner.«
Ich stand auf und ging auf ihn zu. Er wandte sich von mir ab, kehrte mir den Rücken. Es war mir egal. Ich
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