Spiegelblut
mit einer spielerischen Geste weiter. »Du willst nicht darüber reden, nehme ich an. Dann sag mir wenigstens, was Imago Animea bedeutet.« Ihr Blick streifte kurz sein Gesicht, bevor sie die Treppe nahm. So als würde sich ein Teil von ihr erinnern. Aber das war unmöglich, nicht schon jetzt!
»So etwas Ähnliches wie Seelenbild. Spiegelseele.«
»Ah.« Sie stieg vor ihm die Stufen nach oben. Dieser federnde Gang, das Wippen dieser gekringelten Haarspitzen auf ihrem Rücken, der Duft, den sie versprühte, nicht nur den des Jasmins, sondern auch ihren eigenen – es macht ihn so verrückt, dass sich sein Atem beschleunigte, wenn er sie nur ansah.
»Hier ist es.« Gott sei Dank! Schau sie nicht an! Vielleicht hat Damontez ganz recht, sie nicht in deine Nähe zu lassen.
»Hier?« Coco starrte auf die schmucklose Tür und klopfte zaghaft. Sicher hatte sie ein Stufenportal mit Barockbogen über dem waagrechten Türsturz erwartet. Aber so war Damontez nicht. Er lebte bescheiden und überließ die Prunkzimmer den Vampirinnen des Sanctus Cor.
Sie sah ihn unsicher an. »Soll ich einfach reingehen?«, fragte sie, nachdem es auch nach dem zweiten Klopfen still blieb.
»Niemand betritt sein Zimmer ohne ausdrückliche Erlaubnis. Aber du bist sein Nachtschattenherz. Wenn er jemals eine Ausnahme machen würde, dann für dich.« Weil er dich liebt, weil keine Liebe der Welt jemals stärker war als seine.
»Ich riskier’s einfach.« Sie lächelte, und er hasste es.
Das Knarzen der schweren Tür zerrte an seinen Nerven. Wenn sie sich hinter ihr schloss, wäre er wieder allein.
Das hast du gewusst, Cheriour. Pontus ballte beide Fäuste, starrte auf das schlichte Eichenholz, hinter dem Damontez seit mehreren Jahrzehnten einsam die unsäglichen Qualen litt. Du hast gewusst, ich würde sie lieben. Vielleicht hat es dir auch der Schicksalsweber Ahadiel verraten. Oh, ich höre seine Stimme in euren Hallen klingen wie Orgelpfeifen. Vielleicht spielt er sogar einen Bolero auf seinen beschissenen Kettfäden und singt ein Lied dazu. Von dem verlorenen Sohn auf der Suche nach seiner Sterblichkeit. Wollen wir ihn noch einmal lieben lassen?
Er lehnte sich mit dem Kopf gegen die Tür, die sie eben leise zugezogen hatte. Ob sie neben Damontez saß? Lag? Wie linderte sie seine Schmerzen? Wie ertrug sie seine Nähe? Er fühlte sich erschöpft, ausgebrannt von unerfüllter Sehnsucht und den Bildern, die in seinen Gedanken entstanden, die er sah, obwohl die Tür verschlossen war. Seine Augen fielen zu. Ich will nicht mehr lieben. Erspart mir dieses Gefühl, es hat mir nur Unglück gebracht. Jedem von euch hat es Unglück gebracht. Ihr blinden Narren, es ist eine Gefahr, jemanden wie mich lieben zu lassen!
Als er sich umdrehte, blieb er wie angewurzelt zwischen Treppenabsatz und Türrahmen stehen. Diamantaugen starrten ihn an, starrten in ihn hinein, suchten seine zur Unsterblichkeit verdammte Seele. Das Haar erstrahlte in den Flammfarben der goldenen Morgenröte, die sich langsam auf den Himmel malte. Nur einen winzigen Streifen sah man durch einen schmalen Spalt der zugezogenen Gardinen.
»Cheriour«, murmelte er leicht betreten über seine Gedanken, als hätte der Engel sie gehört. Natürlich kam er nicht in Fleisch und Blut als Weltwandler, das verbot der Fluch. Außerdem mussten Engel als Weltwandler den kompletten Lebenszyklus eines Menschen durchlaufen. Cheriour kam stets in einer lichten Erscheinung, so wie man sich auf Erden einen Schreckensengel vorstellt. Aber nur ein Spiegelblut und er selbst konnten Engel in dieser besonderen Erscheinungsform wahrnehmen.
»Ist sie ein Spiegelblut, Pontus?« Der Hall seiner Worte echote in Pontus’ Innerem.
»Ich glaube schon.« Er schaffte es nicht, Cheriour zu belügen. Er gestand es sich ungern ein: Er hatte eine Heidenangst vor diesem Cherub. Und es war so aberwitzig, dass er nicht den Tod fürchtete, sondern das Leben. »Wieso soll ich sie töten? Und wieso soll es Kyriel nicht erfahren? Und wie soll sie den Fluch brechen?«
»Nun, zuerst muss sie herausfinden, wer sie ist, nicht wahr? Nur wenn sie das weiß, wird sie wissen, wer du bist. Das eine bedingt das andere. Und erst dann wird sie in der Lage sein, sich über die Zusammenführung der Seelenhälften Gedanken zu machen. Erst dann ergibt es einen Sinn.«
»Ich kann sie nicht töten …«
»Du wirst es müssen.«
»Aber Kyriel ist da ganz anderer Ansicht.«
»Kyriel ist ein gutmütiger Tor, er hat einen Narren an den Menschen
Weitere Kostenlose Bücher