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Spiegelblut

Spiegelblut

Titel: Spiegelblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uta Maier
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stieß ich übelste Verwünschungen aus und wusste nicht, ob ich sie richtig intonierte. Ich wünschte ihnen die unerträglichste Art der Lichtfolter an den Hals, war mir aber sicher, dass sie es wohl eher amüsant fanden. Im schlimmsten Fall niedlich. Ich spürte Hände, die Knoten setzten. Und dann gar nichts mehr.
    Stille. Schwärze. Ich.
    Mehr nicht. Nur ich. Das Spiegelblut Coco Lavie. So lange war ich davongelaufen. Erst meinem Spiegelbild, meiner Schuld an Finans Tod, dann Eloi, zu guter Letzt den Dämonen, sogar Damontez hatte ich davonlaufen wollen. Jetzt musste ich herausfinden, wer ich war, wenn ich nicht rannte, wenn ich still wurde. In diesem Augenblick befürchtete ich, es könnte auf meiner Flucht durch mein Leben nicht mehr viel von mir übrig geblieben sein. Als hätte sich Coco Lavie mit jedem Meter mehr in Nichts aufgelöst. Was würde ich finden, wenn nicht mich selbst? Wer könnte ich noch sein?
    Die erste Panik setzte sofort ein. Instinktiv versuchte ich, die Bänder zu sprengen, indem ich meine Muskeln anspannte. Sekunden, Minuten ohne Sinn und Verstand. Das Leder schnitt in mein Fleisch, ich spürte Schmerz und nahm ihn dankbar als etwas an, das ich fühlen konnte. Ich kämpfte so lange, bis ich meine Kraftreserven vollends aufgebraucht hatte und nur noch nach Atem rang. Meine Arme zitterten unterhalb des Schultergelenks, ob der Furcht oder ob der Lage, wusste ich nicht. Ich blinzelte hinter der Augenbinde, zerrte noch einmal an den Handfesseln, aber ich kam nicht frei. Ich fühlte mich wie lebendig begraben, mein Herz hämmerte gegen die Rippen wie eine Kriegstrommel. Wenn ich jetzt hyperventilierte, wäre alles umsonst gewesen.
    Beruhige dich! Ruhig. Es ist nichts. Es ist nur der Test. Wenn du nachher deine Kräfte bekommen hast, machst du die Vampire fertig. Dann kannst du es! Du musst nur schneller sein und ihr Lied finden, bevor sie dich bis zum letzten Tropfen leer getrunken haben. Du kannst es, Coco! Du wirst es für Finan tun!
    Ich zwang mich zur Ruhe, atmete ein paar Mal tief durch. Ich hatte in einem Handbuch für Suchtkranke einmal gelesen, man könnte Angst wegatmen. Ein, aus. Ein gleichmäßiger Rhythmus.
    Es half, der erste Schreck schwemmte aus mir hinaus wie Dreck in einen Abwasserkanal. Ich verdeutlichte mir meine Lage. Ich musste einfach nur gefasst auf die Halluzinationen warten, nichts weiter. Ich konnte zählen, oder? Eine letzte Angewohnheit aus meinem alten Leben. Ich presste die Zahlen in meinen Kopf. Kunterbunt tanzten sie durch meinen Geist, als würde ich sie auf einer Kinoleinwand sehen. Eine rote Eins, die Zwei grün – war das bereits eine sich auflehnende Spiegelsicht? Die Zahlen rochen nach Jelly Beans. Ich zog die Nasenflügel nach oben. Ich war erst bei der Drei. Gelb. Noch während ich langsam bis fünfzig zählte, führten die Ziffern ein Eigenleben, blinkten in dem Innenraum meiner Seele durcheinander, ebenso unergründlich und endlos wie die Sterne im All. Vielleicht war die Seele mit all ihren Facetten und Dimensionen genauso grenzenlos wie der Weltraum. Gab es einen Unterschied zwischen Innen und Außen – und wenn ja, was machte ihn aus? Bevor ich mich in der Weite verlor, schrie mein Körper nach seinem Recht.
    Meine Muskeln brannten wegen der unbequemen Position. Feuerimpulse rasten durch mich hindurch. Ich versuchte, meine angespannten Sehnen geistig zu dehnen, aber es half nicht. In meinen Schultern tobte ein roher Schmerz, als würde das Gelenk zerspringen und das Fleisch vom Knochen reißen.
    Eine solche Folter hatte ich nicht erwartet. Ich glaube, ich habe irgendwann geweint, ich schmeckte Salz auf den Lippen, meine Nase lief und ich jammerte lautlos vor mich hin. Vielleicht schrie ich irgendwann sogar nach Draca und Raven, ganz sicher rief ich nach Damontez. Nach Pontus. Nach Shanny.
    Damontez …
    Ich versuchte, mich an Silbersterne und Mondwind zu erinnern. Meine Sinne fächerten sich auf wie ein bebildertes Kartenspiel, ich roch und sah den kalten Geruch von Eis wie frische Minze, die Zärtlichkeit des Mondwindes auf meinen Wangen.
    Bitte finde mich …
    Zitterkrämpfe schüttelten mich durch. Meine Angst kam zurück. Der Boden bebte wie unter Donnerschlägen. Ich spürte mein Herz nicht länger in meinem Körper, alles löste sich auf, ich verlor meine Konturen, wusste nicht mehr, wo ich anfing und wo ich aufhörte.
    Hufe hämmerten über den Stein. Wo kamen die Pferde her? Die dichten Bäume, von denen ich nur noch eine vage Ahnung hatte,

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