Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spiegelblut

Spiegelblut

Titel: Spiegelblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uta Maier
Vom Netzwerk:
er mir eine der drei Kräfte zweifelsfrei nachgewiesen. Pontus hatte eine weitere bezeugt und so wären es schon zwei.
    Er ließ meine Hand los, blieb aber dicht hinter mir stehen. »Farbe?«
    »Ich habe mehr Angst vor der Dunkelheit, als davor, dass du mir die Finger brichst.«
    Plötzlich war da ein warmer Wind in der bedrohlichen Stille seiner Aura. Er streichelte meine Haut, weich und dunkel wie Seide, die aus dem Schatten der Nacht gemacht war. Er trug das Mondlicht in sich und den Glanz von silbernen Sternen, die zerbrechlicher waren als Schneeflocken. Sie schneiten vor einem schwarzen Horizont, vor einer Linie aus Schmerz. Ich blinzelte hinter der Augenbinde, als ich erkannte: Es war gar kein Wind. Es war ein Duft. Der Duft von Mondwind und Silberschnee. Aber er gehörte nicht zu dem orangefarbenen Opal in meiner Hand, sondern zu Damontez!
    »Farbe?«
    »Es ist ein grüner Turmalin«, behauptete ich überzeugend.
    »Du fürchtest dich vor der Dunkelheit?«
    Ich schwieg und ärgerte mich, eine meiner größten Schwächen eingestanden zu haben. Ich hatte ihn um ein Druckmittel reicher gemacht.
    »Ich denke, wir werden diese Art Test öfter machen. So lange, bis du keine Angst mehr hast und dich besser darauf einlassen kannst.«
    »Es ist ein Turmalin, und er ist grün«, beharrte ich auf meiner Lüge.
    Er nahm mir den Stein ab und löste schweigend die Knoten des Tuches. Ich hätte zu gerne gewusst, ob ich mit meiner Vermutung richtig gelegen hatte, aber er verriet es mir nicht.
    Er ging ohne weitere Worte und ließ mich mit einer ganz anderen Erinnerung zurück. Eine Erinnerung, die keiner Spiegelsicht entsprang, höchstens der meiner eigenen kindlichen Seele.
    »Das hier fühlt sich seltsam an.« Finans Finger wanderten bedächtig über den Saum meines neuen Kleides. Ich hatte ihm vorher viele Dinge aus dem Park angeschleppt, nachdem wir beschlossen hatten, unser altbewährtes Ferienspiel »Wer spürt was?« zu spielen, bei dem ich immer wieder gegen ihn verlor.
    »Rate!«
    »Es gehört zu deinem Kleid, aber es ist nicht wie der Stoff.«
    »Richtig.«
    »Es kitzelt an den Fingerkuppen, aber es juckt und kratzt auch.«
    Ich kicherte und zog ihm den Spitzensaum aus den tastenden Händen.
    »Hey, Coco, komm schon. Was ist das?«
    »Es heißt Spitze!«
    »Spitze? Beschreib es mir!« Er griff in die Luft in meine Richtung, und ich legte ihm die Spitzenbordüre zwischen Daumen und Zeigefinger.
    »Sie ist weiß.«
    »Wie die Wolken und die Milch?«
    »Ja. Wie Wolken und Milch. Und unsere Frühstücksteller. Und der Schnee im Winter und die Schwäne im Teich. Und sie ist ganz fein gehäkelt. Es gibt auch Spitze aus anderen Stoffen, doch diese ist gehäkelt oder gestrickt, ich weiß es nicht genau.«
    »Und weiter?«
    »Sie hat ein Muster, es wiederholt sich immer wieder.«
    »So wie das hervorstehende Muster auf den Fliesen im Bad?«
    »Ja, ähnlich, aber kleiner.«
    »Wozu braucht man sie?«
    »Sie macht Kleider schöner. Prinzessinnen haben oft Spitze an ihren Gewändern. Tischdecken haben auch manchmal Spitze.«
    »Wie ist sie noch?«
    »Sonst nichts.« Ich schüttelte den Kopf, doch das konnte er nicht sehen. Finan war schon blind zur Welt gekommen. Und natürlich reichte es ihm nicht.
    »Wenn sie einen Geschmack hätte, wie wäre er?«
    »Vanille mit Keksen«, sagte ich prompt. »Und riechen tut sie auch so. Aber auch ein bisschen nach diesem Weihnachtsgewürz.« Ich schnipste mit den Fingern. »Anis, ja Anis.«
    »Und wenn Spitze ein Lied wäre? Wie würde es klingen?«
    »Hm.« Ich überlegte kurz, dann antwortete ich: »Nach der Königin der Nacht. Die mit der hohen Stimme und dem ewig langen Lied.«
    »Die von Mamans CD, die Eloi so grässlich findet? Die Zauberflöte von Mozart?«
    »Ja. Genau die.«
    »Ich glaube, ich mag Spitze!«, meinte Finan grinsend, legte sich auf den Rücken und starrte blind in den Himmel. »Coco?«
    »Finan?«
    »Du bist die beste Schwester der Welt.«
    Ich riss ein Büschel Gras ab und bewarf ihn lachend damit. »Du hast ja auch nur eine!«
    »Du kannst mir die Dinge so beschreiben, als könnte ich sie sehen. Mit meinem inneren Auge, wie es Eloi nennt.« Er schüttelte sich gespielt theatralisch und das Gras flog in alle Richtungen. Dann wurde er ganz ernst: »Und wenn Spitze nun ein Gefühl wäre?«
    »Vielleicht wäre sie Freude oder Glück«, antwortete ich und half ihm, das Gras von seinem T-Shirt herunterzulesen.
    »Ja«, sagte er nachdenklich und verschränkte die Arme unter

Weitere Kostenlose Bücher