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Spiegelblut

Spiegelblut

Titel: Spiegelblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uta Maier
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    »Meinetwegen, aber nicht länger als eine Minute.«
    »Damontez, ich bitte dich, ich bitte dich für sie, nicht für mich …«
    »Vergiss es! Ich habe mich entschieden.«
    »Es tut mir leid, Coco.« Als ich den Kopf ein wenig höher nahm, sah ich sein Ehrfurcht einflößendes Engelsgesicht mit den eisblauen Augen und fragte mich, wie ich je vor ihm hatte Angst haben können. Weil Damontez gerade nicht in meine Richtung blickte, traute ich mich noch weiter und formte mit den Lippen ein stummes: Hol mich hier raus!
    »Streng dich morgen an!« Pontus schenkte mir ein kleines Lächeln. »Vielleicht darfst du dann auch Zeit mit den Lichtträgern verbringen.« Er wollte mir Mut machen und es rührte mich, dass es im Sanctus Cor überhaupt jemanden gab, der sich um mein Wohl sorgte. Aber meine Freude währte nur kurz, da Damontez an Pontus’ Lächeln gemerkt hatte, dass ich ihn angesehen haben musste. Sein Kopf fuhr herum, schneller als mein Blick sank. Noch bevor mich der harte Schlag in den Nacken taumeln ließ, hörte ich Pontus fassungslos »Damontez!« rufen. Es war nicht nur die Wucht des Schlags, die mich nach vorne schleuderte, sondern mein absolutes Unvorbereitetsein darauf. Dieses Mal war das Brennen eine rein anatomische Angelegenheit, der Schmerz zog sich von meinem Genick in Flammen hoch auf den Hinterkopf. Ich fand mein Gleichgewicht wieder und blieb ganz ruhig stehen. Ich würde nicht weinen, es tat nicht so weh, als dass Tränen nötig wären. Es war eher die bittere Erkenntnis, dass er auch vor körperlicher Gewalt nicht zurückschreckte, die mir zusetzte.
    »Das hast du meinetwegen getan!« Pontus’ Stimme war eine einzige Anklage. »Das schaue ich mir nicht länger an!« Ich hörte deutlich an seinen fremdländischen Flüchen, dass er Richtung Ausgang unterwegs war. Kurze Zeit später knallte die Tür.
    Damontez’ Schweigen knisterte über meine Haut wie ein Stromschlag. Ich stand einfach nur da, atmete ein und aus und befahl mir, keine Schwäche zu zeigen. Mehr nicht. Irgendwann schritt er davon, ich wie sein Schatten hinter ihm her. Er brachte mich in das Verlies zurück. Bevor er ging, verbot er mir zu schlafen und drohte damit, es zu kontrollieren.
    Ich rollte mich auf der Matratze zusammen und versuchte, mich zu entspannen. Aber das Turmverlies war kühl, es zog durch die zerfressenen Steine, und ich begann nach wenigen Minuten in dem dünnen Shirt fürchterlich zu frieren.
    Als Pontus in der Tür stand, saß ich zusammengekauert an der Wand, mit klappernden Zähnen und vor Kälte zitternd, und tat nichts anderes mehr, als stupide auf die Mauer zu starren und ab und zu meine Hände anzuhauchen. Ein Blick auf ihn reichte aus, um mich trocken aufschluchzen zu lassen.
    »Meine Güte, Coco«, seufzte er und kam auf mich zu. Erst jetzt sah ich, dass er einen ganzen Stapel Sachen mitgebracht hatte. Er legte eine Daunendecke auf die Matratze, stellte eine Wasserflasche daneben, meine Tasche …
    »Wo hast du die denn gefunden?«, fragte ich leise. Ich sah an ihm vorbei zur Tür, um mich zu vergewissern, ob Damontez ebenfalls mitgekommen war.
    »Er hat uns eine Minute gegeben.« Er hatte meinen Blick bemerkt. »Sie lag noch im Kirklee-Tunnel. Ich habe sie entdeckt, als ich den Lichtträger geborgen habe. Wir dürfen niemals Spuren hinterlassen, von denen die Menschen auf unsere Existenz schließen könnten. Auch keine Toten.«
    Lester. Ich musste schlucken und schob den Gedanken an ihn weit weg.
    »Hier!« Er legte mir etwas Weiches, Dunkelblaues auf den Schoß. »Ich dachte, du könntest ihn gebrauchen, um dich ein bisschen vor Damontez zu verstecken.« Er zwinkerte mir zu, aber er entschuldigte sich sofort, als er sah, wie ich zusammenzuckte.
    Mit kalten ungeschickten Fingern faltete ich es auseinander und lachte auf, während Tränen in meine Augen schossen – es war sein Kapuzenpullover aus der U-Bahn. Meinen eigenen würde ich vermutlich so schnell nicht wiederbekommen. Ich blickte zu ihm hoch. Es war mir in diesem Augenblick, als hätte ich noch nie ein so wertvolles Geschenk bekommen, mal davon abgesehen, dass ich seit Finans Tod sowieso keine Geschenke mehr erhalten hatte. Das letzte, an das ich mich erinnerte, war der kleine Plüsch-Kranich zu meinem elften Geburtstag, für den Finan fünf Monate gespart hatte. Eigentlich hatte ich mir den weißen Schwan gewünscht, aber Finan hatte es wohl verwechselt.
    Ich taumelte nach oben. »Pontus.« Ich schluchzte seinen Namen mehr, als dass ich

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