Spiegelblut
geblieben. Vor wenigen Jahren hatte Glynis Pontus anvertraut, Damontez würde sie vielleicht eines Tages als Gefährtin erwählen. Einfach weil sie gut harmonierten und man es von ihm als Clanführer in ferner Zukunft erwartete. Liebe durfte sie sich von einem Halbseelenträger nicht erhoffen. Lieben konnte ein Halbseelenträger nicht, denn dafür benötigte er auch seine andere Seelenhälfte! Aber als seine Gefährtin würde sie ihn mit keiner Vampirin teilen müssen. Allein damit schien sie zufrieden zu sein, trotz ihres Stolzes und ihrer ranghohen Herkunft aus einem der besten Häuser Londons. Und auf der anderen Seite lag da Coco, die nicht mehr getan hatte, als im Angesicht des Todes lächelnd seinen Namen zu flüstern.
Nachdem ich ihm den Weg gezeigt habe! Soll er doch Glynis glauben. Glynis wäre zufrieden, und Damontez würde Coco so hart sanktionieren, dass sie ihn bis aufs Blut verachtete. Er selbst könnte sich seinen Illusionen hingeben. Aber er musste Coco beschützen! Was wäre, wenn Glynis ihr wirklich nach dem Leben trachtete?
»Coco!« Noch einmal begab sich Damontez mit ihr auf Augenhöhe. Seine Stimme klang fester als zuvor, er bemühte sich sichtbar um Objektivität. »Ich finde es ja doch heraus. Also … es wäre besser für dich, die Wahrheit freiwillig zu gestehen. Falls du bei deiner Aussage bleibst, hieße das, Glynis hätte versucht …« Er stockte.
»Welchen Grund sollte ich haben, Coco etwas anzutun?«
»Bist du wieder weggelaufen?«
Sie blinzelte. Wieder zweimal.
»Natürlich lügt sie!«, behauptete Glynis erbost. »Damontez, ich erwarte von dir, dass du sie …«
»Sei still!«, fuhr Damontez sie an. »Heute entscheide ich gar nichts. Aber bis ich nicht eindeutig weiß, was genau vorgefallen ist, dulde ich dich nicht länger an ihrem Krankenbett.« Er schwieg kurz, und als Glynis erneut den Mund öffnete, brachte er sie mit einer Geste zum Schweigen. »Wenn sie die Wahrheit sagt, Glynis«, er schloss die Augen und verlieh allein dadurch seinen nächsten Worten noch mehr Gewicht, »dann gnade dir Gott!«
17. Kapitel
»Märchen sagen Kindern nicht, dass es Drachen gibt.
Kinder wissen schon, dass es Drachen gibt.
Märchen sagen den Kindern, dass Drachen getötet werden können.«
GILBERT KEITH CHESTERTON
»Diese miesen Heuchler! Sie wollen das Spiegelblut!« Ich hörte Pontus’ Stimme, gefolgt von einem Rascheln und einem verächtlichen Schnauben.
Unter der Decke eingegraben, erhaschte ich einen Blick auf den blonden Vampir. Sein Haar fiel offen über die Schultern und bildete einen harten Kontrast zu seinem schwarzen Langarmshirt. Ich hatte ihn so lange nicht mehr wirklich betrachtet, dass ich den Effekt, den das Licht auf seinem Gesicht hervorrief, fast vergessen hatte. Aus meiner jetzigen Position heraus wirkte es trotz der Engelhaftigkeit kalt und grausam. Ich drehte den Kopf ein wenig und die Unschuld und die Vertrautheit legte sich darüber wie Zauber. Ich lächelte ihm heimlich zu, da Damontez mir den Rücken zudrehte.
Moment, was hatte er da eben gesagt?
»Sie haben keine Zeit verloren.« Damontez faltete etwas zusammen. »Wir müssen uns unterhalten. Nur wir beide und die Eingeweihten. Noch heute Nacht.«
»Ich kümmere mich darum.« Die Tür schloss sich, Pontus war sicher gegangen.
Ich lag mit dem Kopf fast unter der Decke. Zwei Tage waren vergangen, seitdem sie mich aus dem Schnee gefischt hatten, und Damontez war abwechselnd besorgt und zornig. Mal schien er mir zu glauben, dass ich nicht weggelaufen war, im nächsten Moment zweifelte er meine Unschuld an. Mein Puls war durch das Fieber ständig erhöht und hinderte ihn daran, meinen Herzschlag als Lügendetektor zu benutzen. Da ich seinen finsteren Blick kaum aushielt – selbst wenn ich ihn nicht sah –, gab ich vor, mich unter meiner Decke aufzuwärmen, und hoffte, Shanny möge möglichst bald Beweise für meine Unschuld finden.
»Ich habe eine Einladung von Faylin Corell bekommen.«
»Wer ist das?«, piepste ich durch die dicken Daunen. Er hatte die Regeln gelockert, vermutlich, weil es mir so schlecht ging.
Damontez zog den Zipfel der Decke weg, um meinen Kopf freizulegen. »Ein böser, wirklich böser Vampir. Manche behaupten, er wäre der Eine!«
»Der Eine?« Ich starrte auf Damontez’ Füße. Nebenbei bemerkte ich, dass ich in Pontus’ Pulli steckte. Damontez hatte ihn mir zurückgegeben! Und angezogen!
»Der Eine, der das Engelmädchen tötete!«
»Was? Er lebt noch?« Ich versuchte,
Weitere Kostenlose Bücher