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Spiegelkind (German Edition)

Spiegelkind (German Edition)

Titel: Spiegelkind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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drückte mit der Schulter dagegen, aber sie gab keinen Millimeter nach. Ich begriff erst einige Augenblicke später, dass ich mich irrte.
    Die Tür war abgeschlossen.
    Wütend rannte ich die Treppe wieder runter, wo Ingrid die Zwillinge zu einem Kartenspiel zu überreden versuchte. Aber es klappte nicht. Jaro tat, als würde er sie nicht hören. Er lag bäuchlings auf dem Boden und starrte das künstliche Feuer an. Kassie dagegen zerrte und zupfte an Ingrid und quengelte, aber so undeutlich, dass es unserer Großmutter einfach nicht gelang rauszufinden, was Kassie nun wirklich von ihr wollte.
    Sie kam ganz schön ins Straucheln. Jetzt war ich diejenige, die schadenfroh grinste.
    »Die Tür zu Mamas Zimmer geht nicht auf«, sagte ich laut. Das durfte ich ja wohl sagen, da war nichts dabei, was die Kleinen hätte erschrecken können. Außerdem war es die Wahrheit.
    Ingrid zuckte zusammen.
    »Hast du eine Idee, wer sie abgeschlossen haben könnte?«, fragte ich betont freundlich.
    »Ähh … sie selbst?«, fragte Ingrid halbherzig.
    »Bevor sie …« Jetzt wäre mir beinahe »entführt worden ist« herausgerutscht, aber das hätte die Zwillinge wiederum schockieren können, daher verkniff ich es mir und sagte stattdessen: »Bevor sie das Haus verließ? Erzähl mir doch nicht so einen Scheiß!«
    »Achte auf deine Wortwahl, Juliane«, mahnte Ingrid und Jaro sagte: »Mama schließt ihr Zimmer niemals ab.«
    »Genau!«, sagte jetzt auch Kassie und unsere Großmutter hätte mir unter anderen Umständen fast leidtun können, denn sie schwitzte und hatte rote Flecken auf den Wangen.
    »Pfui, du stinkst«, sagte Jaro.
    Ingrid rückte von ihm weg. Wahrscheinlich hätte Jaro nichts sagen können, was sie mehr getroffen hätte als das, abgesehen von »Siehst du aber alt aus«.
    »Jaro!«, sagte ich jetzt warnend, wenn auch halbherzig. Ich wusste, dass seine Worte unserer Mutter nicht gefallen hätten. Auf Ingrids Seite war ich aber auch nicht, zudem wir alle gerade hören konnten, wie sie in den Flur hinauslief und von dort unseren Vater anrief, um sich über die schrecklichen Kinder zu beklagen.
    Bis unser Vater von der Arbeit kam, sagte niemand mehr etwas. Ingrids Tränen hatten die Zwillinge verwirrt und sogar mich verstört. Ich war regelrecht überrascht, dass sie so tiefe Gefühle entwickeln konnte. Sie war in der Zwischenzeit ins Bad gegangen und hatte sich dort, den Geräuschen nach zu urteilen, einer gründlichen Reinigung unterzogen. Dann kam sie heraus und roch intensiver denn je nach Essig und Rose, ihrem Lieblingsparfum, seit ich denken konnte.
    Unser Vater kam von der Arbeit und ging mit seiner Aktentasche, die Straßenschuhe ebenfalls noch untypischerweise an, in mein Zimmer, machte die Tür zu, setzte sich an meinen Tisch und sagte:
    »Juliane, wir müssen ernsthaft miteinander reden.«
    »Das finde ich auch!«, sagte ich, obwohl ich eigentlich das Gegenteil meinte. Wenn mein Vater so etwas ankündigte, redete er erstens sehr viel, zweitens meistens über sich. Noch viel schlimmer war es aber, wenn er hartnäckig Dinge fragte, die man lieber für sich behalten wollte. Er akzeptierte kein Schweigen und bohrte sich immer zu den Antworten durch. Man konnte sich eine halbe Stunde mit unserem Vater unterhalten und sagte plötzlich Sachen, die man niemals hatte sagen wollen – einfach damit er endlich aufhörte zu sprechen. Wenn er immer weiter auf einen einredete, begann schon der Klang seiner Stimme, in den Ohren wehzutun.
    »Juli, du kannst so nicht weitermachen«, sagte mein Vater, aber ich unterbrach ihn und erzählte ihm, dass ich bei der Polizei gewesen war und was man mir dort gesagt hatte. Nur dass der Polizist mich im Gesicht angefasst hatte, brachte ich nicht über die Lippen, obwohl ich ständig daran denken musste.
    Mein Vater lehnte sich zurück. Damit hatte er nicht gerechnet. Seine Nasenflügel bebten, ein Zeichen, dass er wütend war.
    »Wer hat dir erlaubt, zur Polizei zu gehen? Was bildest du dir ein?«
    »Einer muss es ja tun«, sagte ich. »Sonst rühren die keinen Finger!«
    »Mach dir mal darüber keine Sorgen«, sagte mein Vater. Seine Augen röteten sich und an der Stirn schwoll eine Ader an. »Du sollst dich nicht einmischen in Dinge, von denen du keine Ahnung hast.«
    »Ich soll mir keine Sorgen machen?«, brüllte ich. »Keine Sorgen? Du hättest mal den Polizisten erleben sollen!«
    Vielleicht war ich eine Spur zu laut gewesen, denn nun sprang Papa auf und hielt mir den Mund zu.
    Das hatte

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