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Spiegelkind (German Edition)

Spiegelkind (German Edition)

Titel: Spiegelkind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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schob sie beiseite. Ohne auf ihre für meinen Geschmack etwas zu schrill gestellten Fragen einzugehen, schloss ich mich im Bad ein und ließ heißes Wasser in die Badewanne ein. Erst nach einer halben Stunde hatte ich mich so weit gefasst, dass ich mich in der Lage sah, meiner Großmutter gegenüberzutreten.
    Die Zwillinge waren inzwischen zu Hause und saßen gemütlich vor dem Elektrokamin auf einem synthetischen Zebrafell. Alles sah so friedlich aus, dass es mir einen Stich versetzte. Sie konnten doch nicht so tun, als wäre alles in Ordnung? Wie konnten sie so ruhig bleiben, wenn wir nicht wussten, wo unsere Mutter gerade war und wie es ihr ging? Meine Großmutter stand in der Küche und wischte die Schränke aus. Offenbar hatte sie ihre Taktik geändert, denn sie stellte keine Fragen mehr.
    Aber jetzt war ich dran. Ich musste irgendwohin mit meiner Gereiztheit. »Das gibt’s doch nicht!«, sagte ich. »Was denken Jaro und Kassie, warum du hier bist, obwohl jetzt eigentlich Mamas Woche ist?«
    »Psst!« Ingrid hielt den Zeigefinger an ihre Lippen und zog mich rasch in den Flur, während Jaro hellhörig aufsah.
    »Was willst du von mir?« Ich ließ es geschehen, dass sie mich hinausschob und die Tür hinter uns schloss. »Warum tust du so geheimnisvoll?«
    »Du sollst Rücksicht auf die Kleinen nehmen!«, sagte meine Großmutter.
    »Ich nehme Rücksicht!« Jetzt flüsterte ich auch, obwohl ich es nicht einsah, ein Geheimnis aus Mamas Verschwinden zu machen. »Aber wir können doch nicht so tun, als wäre alles in bester Ordnung.«
    »Wir müssen so tun!« Ingrid überprüfte, ob die Tür auch wirklich gut verschlossen war. »Oder willst du, dass Jaroslav und Kassandra ihretwegen ganz unglücklich werden?«
    Ich öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Nein, ich wollte nicht, dass meine Geschwister so unglücklich wurden wie ich. Dass sie das unheimliche Gefühl kennenlernten, von den nächsten Angehörigen angelogen zu werden. Dass sie unseren Vater und unsere Großmutter für deren Schadenfreude über Mamas Verschwinden zu hassen anfingen. Das war wirklich kein schönes Gefühl.
    Das wollte ich den Zwillingen ersparen, aber mir war unklar, wie das gehen sollte, ohne unsere Mutter zu verraten, die es mehr denn je nötig hatte, dass hier jemand zu ihr hielt.
    »Bitte, Juliane.« Ingrid machte ein liebenswürdiges Gesicht. »Sei nicht so egoistisch. Ich erkenn dich ja gar nicht wieder.«
    »ICH BIN NICHT EGOISTISCH!«
    »Bist du sehr wohl.« Sie presste vorwurfsvoll ihre Lippen aufeinander. »Ich verstehe es ja, du bist gerade in einem schwierigen Alter. Ich hatte mich schon gefragt, wann das kommt, andere Mädchen werden früher schwierig und du warst immer so brav.«
    »Stell dir vor, Papa verschwindet und Mamas Familie feiert ein großes Fest und ich sag dir: Feier doch mit, sei nicht so egoistisch!«, brüllte ich.
    Ingrid blinzelte.
    »Schrei nicht«, sagte sie. »Es ist halt so und nicht anders herum.«
    Ich wusste nicht, was ich jetzt noch hätte tun oder sagen sollen.
    Also ging ich nach oben und versuchte, etwas zu lesen, weil Lesen für mich die beste Ablenkung auf Erden war, aber diesmal funktionierte es nicht. Ich spürte nichts als Angst.
    Angst um meine Mutter. Angst um mich. Angst um meinen Verstand.
    Als ich klein gewesen war, hatte ich zum Einschlafen oft einen von Mamas weichen Pullovern ins Bett genommen. Ich hatte sie zu einer Wurst gedreht und mir unter den Kopf geschoben. Die Ärmel legte ich so, dass ich mich umarmt fühlte. Der Stoff hielt die Wärme und roch nach Mama. Jetzt war ich längst zu alt dazu, aber Jaro und Kassie machten es immer noch oft. Unsere Mutter sagte, sie habe keine Pullover mehr, die sie noch tragen könnte, weil in jedem Kinderbett fünf Stück herumlagen und nicht gewaschen werden durften, damit der Duft nicht wegging.
    Mir war dringend nach so einem Pullover.
    Ich kletterte aus dem Bett und machte mich auf den Weg zu Mamas Schlafzimmer. Es war am anderen Ende des Hauses, nah an dem Kinderzimmer, in dem die Zwillinge früher zusammen geschlafen hatten, bevor sie in eigene Zimmer umzogen. Als ich vor der Tür stand, stellte ich mir vor, wie es wäre, jetzt die Tür zu öffnen und meine Mutter schlafend im Bett zu finden, sie zu wecken, ihr einen Kaffee ans Bett zu bringen, ein paar Blumen dazu – warum hatte ich das nie gemacht, als sie noch da war?
    Ich rüttelte am Türgriff und nichts passierte.
    Ich konnte die Tür nicht öffnen.
    Sie klemmt, dachte ich und

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