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Spiegelkind (German Edition)

Spiegelkind (German Edition)

Titel: Spiegelkind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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zuerst schon, aber jetzt nicht mehr.«
    »Warum?« Ich war plötzlich eifersüchtig.
    »Weil meins doch älter ist«, sagte Jaro geduldig.
    »Und ist sie immer da?«, fragte ich. »Immer und überall gleichzeitig?«
    »Wie ginge denn so was?«, fragte Jaro und sah mich skeptisch an und dann rief unsere Großmutter von unten, dass die Zwillinge sich auf den Weg zur Schule machen müssten, und Jaroslav habe immer noch nicht gefrühstückt und auch die Zähne nicht geputzt, und ich schüttete meine Frühstücksflocken in Jaros aufgesperrtes Mäulchen, damit der Kleine nicht hungrig aus dem Haus gehen musste.
    Ich hatte sowieso keinen Appetit.
    Im Bus war ein Platz neben Appolonia frei. Appolonia gehörte zu der Gruppe Mädchen, mit der ich zusammen zu Mittag gegessen hatte – bevor Ksü aufgetaucht war und alle verschreckt hatte. Einmal hatte mir Appolonia eines ihrer vielen Haargummis ausgeliehen, als mir meins im Sport von den Haaren gerutscht war und ich es nicht mehr finden konnte. Am nächsten Tag hatte ich ihr das Haargummi gewaschen zurückgegeben, aber sie hatte es trotzdem weggeschmissen, als sie glaubte, dass ich nicht hinsah.
    »Guten Morgen.« Ich ließ mich auf den Sitz neben ihr fallen.
    Appolonia nickte und rückte die Tasche auf ihrem Schoß zurecht.
    »Geht’s dir gut?«, fragte ich finster. Obwohl ich immer noch keinen Appetit hatte, meldete sich mein leerer Magen mit einem Grummeln. Wahrscheinlich konnte es jeder hören, aber es war mir seltsamerweise nicht peinlich.
    »Sehr gut, danke.« Appolonia hatte hervorstehende Zähne und es wäre vielleicht etwas weniger auffällig gewesen, wenn nicht auf einem von ihnen ein Kunstdiamant geblinkt hätte. Die einzige Art Schmuck, die man ohne ärztliche Hilfe nicht abnehmen konnte und die deswegen auf dem Lyzeum nicht verboten war.
    »Hör mal, Polly«, sagte ich. »Ich glaube, ich hab die ganze Zeit was verpasst. Kannst du mir sagen, was so schlimm an Pheen ist?«
    Appolonia drehte sich zu mir, der Diamant zwinkerte mir zu.
    »Pfui«, sagte sie.
    »Was?«
    »Wie kannst du solche Wörter in den Mund nehmen?«
    »Wie meinst du das? Ist das schon schlimm, Dinge einfach so auszusprechen?«
    »Das kommt drauf an, welche.«
    »Hör mal, ich will doch nur verstehen. Was ist so schlimm an Pheen? Haben sie was Böses getan? Dir persönlich zum Beispiel?«
    Appolonia rückte von mir weg.
    »Die haben uns allen was getan.«
    »Und was sollte das bitte sehr sein?«
    »Hat dir deine Mutter nicht beigebracht, dass man über so was nicht spricht?«, fragte sie, ohne mich anzusehen.
    »Nein!«, sagte ich und nun stieg auf einmal Wut in mir auf, weil mir meine Mutter tatsächlich nicht beigebracht hatte, wie ich in so einer Situation reagieren sollte. Sie hatte mir überhaupt ziemlich wenig beigebracht, wie ich gerade brutal vorgeführt bekam. Ich kam mir vor wie jemand, der jahrelang auf einer Insel gelebt hatte und nun in eine Welt gestoßen wurde, in der jedes Kleinkind besser Bescheid wusste als man selbst. Wenn es Pheen nun wirklich gab, wenn meine Mutter eine von ihnen war, was bedeutete das für mich? Warum hatte sie nie mit mir darüber gesprochen? Plötzlich kam ich mir nicht nur verloren vor, sondern verraten.
    »Vielleicht sollte deine Mutter in die Erziehungsberatung«, schlug Appolonia kühl vor. »Für dich ist es schon ein bisschen spät, du bist praktisch fertig sozialisiert, aber du hast ja kleine Geschwister, wenn ich mich recht erinnere. Die hätten dann vielleicht noch eine Chance.«
    »Vielleicht sollte deine Mutter dahin.« Ich hatte das Gefühl, ich hatte nicht mehr viel zu verlieren. Aber ich musste mich trotzdem zusammenreißen. Wenn ich jetzt alle verprellte, würde mir erst recht niemand sagen, was hier eigentlich vor sich ging.
    »Bitte, Polly.« Ich streckte hilflos meine Hand aus und sie zuckte zurück. Ich verschränkte die Finger auf dem Schoß. »Was ist so schlimm an Pheen? Was haben sie getan? Ich habe es wirklich nicht mitgekriegt. Muss all die Jahre irgendwie geschlafen haben.« Ich lächelte beschämt.
    Appolonia bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und rief mit schriller Stimme: »Fass mich nicht an! Sag dieses Wort nicht!«
    Erstaunt sah ich, dass sie nicht nur so tat – sie war wirklich kurz davor, in Tränen auszubrechen.

Mister Cortex
    Von da an war ich allein auf dem Lyzeum. Ich weiß nicht, wie es passieren konnte, dass plötzlich alle im Bilde über mich waren. Vielleicht hatte Polly eine Nachricht ins interne Netzwerk

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