Spiegelkind (German Edition)
Vermutung, dass sie SYSTEM spielte, aber statt das Staatenlabyrinth mit seinen verschlüsselten Fragen und Fallsituationen zu bearbeiten, jagte sie mit Karacho Kugeln über ein Feld, die zurückgeschossen kamen und abgewehrt werden mussten. Viel konnte man bei dem Spiel nicht gerade lernen, dachte ich schadenfroh. So etwas lag ganz klar unter dem Niveau einer Lyzeistin.
Ich guckte eine Weile zu, dann kam mir irgendetwas merkwürdig vor.
»Spielst du gegen den Computer?«
»Nein, gegen meinen Bruder. Dem ist auch langweilig.«
»Aber … Ist der etwa auch hier auf dem Lyzeum?«
»Nein, der ist schon an der Uni«, sagte Ksü mit einem Hauch von Stolz in der Stimme. »Gerade in einer Vorlesung, aber er meint, er kann sich besser konzentrieren, wenn er beim Zuhören mit mir spielt.«
Ich brauchte einen Atemzug, um zu verstehen, was das bedeutete.
»Aber das heißt doch … Du hast einen Zugang nach draußen!«
»Natürlich«, sagte Ksü und feuerte eine silberne Kugel gegen eine rote. Beide gingen in Flammen auf. »Sonst könnte ich ja wohl nicht mit ihm spielen.«
»Aber … Das ist doch ein Schulcomputer! Unsere Zugänge werden kontrolliert. Wir können nicht einfach so ins Netz, das entspricht nicht unserem Status. Wir dürfen nur Lernprogramme benutzen und die Suchmaschine.« Ich dachte voller Bitterkeit daran, wie der Computer auf meine Anfrage reagiert hatte.
»Na ja«, sagte Ksü verlegen, »ich hab ein bisschen was dran verstellt.«
»Am Schulcomputer? Bist du wahnsinnig?«
»Ich wusste nicht, dass es verboten ist.« Ksü machte die Augen rund und das Gesicht dumm, was bei ihr wahnsinnig komisch aussah. »Das hat mir keiner gesagt. Nicht mal du.«
Obwohl es für mich im ersten Moment so klang, als wolle sie die Verantwortung auf mich abschieben, musste ich lachen.
»Vielleicht hast du es mir doch gesagt und ich habe es überhört«, fügte Ksü schnell hinzu, wahrscheinlich war ihr gerade der gleiche Gedanke gekommen wie mir. Schon ein paarmal hatte sie sich so verhalten, als hätte sie genau gewusst, was mir durch den Kopf ging. Es war sehr ungewohnt. Andererseits durchaus ein wenig praktisch, nicht immer alles erklären zu müssen. Und trotzdem störte mich daran, dass es bedeuten könnte, dass wir uns ähnlicher waren als zuerst vermutet.
»Aber … Fällt das denn gar nicht auf?«, fragte ich.
»Kümmert keinen. Siehst du doch.«
»Sag mal, Ksü …« Ich blickte mich verstohlen um und spürte, wie mein Herz schneller klopfte. Noch nie hatte ich etwas Illegales getan. »Dürfte ich vielleicht kurz deinen Computer benutzen?«
»Na klar.« Sie schob mir das Notebook bereitwillig rüber, nachdem sie etwas in eine Ecke des Touchpads geschrieben hatte und das Kugelspiel sofort verschwand.
»Ich muss aber einen Suchbegriff eingeben«, sagte ich vorsichtig.
»Ja, mach doch.«
»Es ist etwas … na ja, das Wort ist böse … Denke ich jedenfalls.«
»Wow!«, sagte Ksü unbekümmert. »Ein böses Wort!«
»Ich meine nur … Falls mich jemand erwischt, ich will ja nicht, dass du Ärger bekommst.« Der letzte Satz war eine glatte Lüge – um Ksü sorgte ich mich erheblich weniger als um mich selber.
»Kontrolliert schon keiner. Mach doch einfach, bevor jemand kommt.« Sie sah zur Tür, doch noch waren wir allein im Raum.
Ich griff mir ihr Gerät. Meine Finger zitterten, als ich das Browserfenster öffnete.
»Hey!« Ich hatte zwar keine Zeit zu verlieren, war jedoch zu verblüfft. Ich konnte meinen Augen nicht trauen, aber es sah genauso aus, wie es immer beschrieben wurde. Ein schlichter silberfarbener Rahmen, keine Schnörkel oder Comicfiguren oder Werbung mit blinkenden Logos. »Das ist ja Mister Cortex!«
»Na klar, denkst du, ich such mit Babyfind oder was?
Ich schüttelte sprachlos den Kopf.
Mister Cortex war eine Suchmaschine, von der ich bis jetzt nur gehört hatte. Von der hatten alle schon mal gehört. Sie war nicht einfach nur für Erwachsene freigeschaltet. Sie war für extrem wenige Erwachsene freigeschaltet, weil sie Informationen entdeckte, auf die man ein besonderes Recht nachweisen musste. Hochrangige Beamte oder Wissenschaftler in Staatskonzernen erhielten den Cortex-Status. Es war die einzige Maschine, die ganz ohne Filter arbeitete. Alle anderen waren zugeschnitten auf die Status-Gruppe, die jeweils darauf Zugriff hatte. Kulinarischfind, Wellnessfind, Grammatikfind. Sie fanden auch nur das, worauf sie spezialisiert waren.
»Aber man braucht doch eine Berechtigung, um
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