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Spiegelkind (German Edition)

Spiegelkind (German Edition)

Titel: Spiegelkind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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holte eine Luftmatratze vom Dachboden und wir bliesen sie zusammen auf, weil Ksü die Luftpumpe nicht finden konnte. Sie hatte mir ihr Bett angeboten, aber ich zog die Matratze vor. Es wirkte alles selbstverständlich, ganz anders als bei uns zu Hause, und wieder fragte ich mich, was jetzt eigentlich mit ihren Eltern war. Aber dann beschloss ich, diese Frage nicht mehr auszusprechen. Ich hatte schon genug Ärger mit meinen eigenen Eltern. Es war mir recht, dass Ksü und Ivan allein waren. Eine dumpfe Gleichgültigkeit überfiel mich, dämpfte meine Sinne und lullte meinen Verstand ein. Und es gefiel mir.
    Ich bettete meinen Kopf auf das bestickte Kissen und zog mir die Decke übers Gesicht. Ich mochte, wie das Bettzeug duftete, in das ich mich einkuschelte – nach Staub, Honig und Vanille. Ein Duft, den ich mit meiner Mutter verband. So ähnlich hatte unser Haus gerochen, wenn sie da war. Es war mir erst nach der Scheidung meiner Eltern aufgefallen, nach den ersten Wochen ohne Mama, dass sie offenbar auch den Geruch mitnahm, wenn sie aus dem Haus ging. Obwohl sie alles andere, all ihre Sachen, stehen ließ. Ihre Quadren vor allem, mit denen sie vielleicht sagen wollte: Ich bin noch bei euch, habt keine Angst.
    So hatte ich das noch nie betrachtet.
    Ich zog mir die Decke über den Kopf, damit Ksü meine Versuche, möglichst leise zu weinen, nicht mitbekam.
    Ich hatte Ivan in aller Form um seine Hilfe gebeten, war aber nicht darauf gefasst, dass es schon am nächsten Vormittag so weit sein würde. Er stellte sein Motorrad auf einem riesigen Parkplatz auf dem Uni-Campus ab und bahnte sich einen Weg durch die Menge. Ich klammerte mich an seinem Ellenbogen fest, bekam Stielaugen und drehte meinen Kopf hin und her, bis mir der Hals wehtat.
    Etwa die Hälfte des lebhaften jungen Pulks sah normal aus: Diese Studenten hatten Anzüge an, die Männer trugen Krawatten dazu, alle hatten ordentliche Haarschnitte und blickten, während sie sich durch das Gewusel kämpften, immer ziemlich starr nach vorn. Sie ähnelten den Senioren aus meinem Lyzeum.
    Aber es gab auch noch die anderen.
    Ja, es stimmte offensichtlich, was mein Vater gesagt hatte: Freaks taten mehr, als Bier zum Frühstück zu trinken und in modrigen Kellern Autobomben zu basteln. Sie waren auch hier, Unmengen von ihnen. Um ja keine Zweifel an ihrer Zugehörigkeit aufkommen zu lassen, trugen sie enge schwarze Lederhosen oder Jeans, die an den unpassendsten Stellen angerissen waren. Schwere Ketten mit Totenkopf-Anhängern klapperten an Rucksäcken und Handgelenken. Bei Frauen waren die Haare lang und ungekämmt, bei Männern zu Zöpfen zusammengebunden. Bei beiden schon mal an den Seiten abrasiert und in der Mitte zu einem Hahnenkamm aufgerichtet. Die Köpfe leuchteten blau, pink, neongrün.
    »Alles klar?«, fragte mich Ivan, ohne sich umzudrehen. Ich nickte. Ivan durfte nicht merken, wie sehr mich ein paar bunte Haare aus dem Konzept brachten. Ivan war nicht Ksü.
    Ksüs Bruder war ein Rätsel. Er sah nicht freakig aus, verhielt sich aber auch nicht wie ein Normaler. Ich traute mich nicht, ihn nach seinem Status zu fragen. Ivan hatte es schon mehrmals deutlich gemacht, dass solche Fragen ihn nervten. Er schien viele wunde Punkte zu besitzen.
    Ab und zu nickte Ivan jemandem zu oder hob die Hand zu einem Gruß. Er führte mich zu einem großen Haus mit etwa zehn Stockwerken, das einen grauen und nüchternen Eindruck gemacht hätte, wären da nicht die runden Balkone in allen Regenbogenfarben gewesen, die aussahen, als hätte sie ein Kind aus Knete geformt und ans Haus geklebt. Wir fuhren mit dem Aufzug hoch, und ich hoffte die ganze Zeit, Ivan würde jetzt etwas Nettes, Aufmunterndes zu mir sagen. Ich wartete, bis wir ausgestiegen waren und Ivan mich zu einer großen Holztür geführt hatte.
    »Dann mal los. Viel Glück«, sagte er.
    »Und du?«
    »Ich hol dich dann später ab.« Und schon war er um die Ecke verschwunden.
    Wenn Ksü jetzt bloß bei mir wäre. Aber sie war in der Schule. Ich musste das hier allein durchziehen.
    Ich atmete tief ein und klopfte. Eine Männerstimme rief etwas Undeutliches. Ich schob die Tür vorsichtig auf, guckte rein, sah nicht viel und betrat schließlich das Büro. Dann blieb ich sofort stehen, beeindruckt von den hohen Decken, riesigen verstaubten Fenstern und Unmengen von Büchern und Akten, die die Regale füllten, sich auf dem Boden zu mannshohen Türmen stapelten und, wie es sich herausstellte, den Zugang zum Hausherrn

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