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Spiegelkind (German Edition)

Spiegelkind (German Edition)

Titel: Spiegelkind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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genau mit den Worten des Anwalts überein. Wahrscheinlich, weil es wahr war. »Und was passiert dort mit ihr?«
    »Sie wird ins Dementio gebracht und dort einer Behandlung unterzogen, die sie …« Ivan fiel es sichtlich schwer weiterzusprechen.
    »Umbringen soll?«, fragte ich heiser.
    Ivan schüttelte den Kopf. »Schlimmer.«
    »Was genau passiert da?«
    »Das weiß niemand. Alles rund ums Dementio hat höchste Geheimstufe.«
    Wir saßen eine Weile schweigend da. Ich versuchte, an meinem Butterbrot weiterzukauen, obwohl ich keinen Hunger mehr hatte. Ivan schaute wieder in die Zeitung, aber seine Augen schienen starr einen Punkt zu fixieren. Ich versuchte zu entziffern, was im Blatt stand, aber es gelang mir nicht. Es war anders als die Zeitungen, die es bei uns im Viertel gab, hatte mehr Bilder und eine unruhige Schrift. Ich hoffe, Ivan würde sie später liegen lassen, dann könnte ich reingucken.
    Aber als er fertig war, rollte er die Zeitung zusammen, steckte sie in seine Tasche und nickte mir zum Abschied zu.
    »Ich muss los«, sagte er. »Versuch, dich zu erholen, das hast du wirklich nötig. Ksü ist mittags wieder da.«
    »Alles klar«, sagte ich. Und als das Geknatter von Ivans Motorrad abebbte, atmete ich auf, ließ die Schultern hängen, machte genüsslich den Rücken krumm und schnitt mir noch eine Scheibe Brot ab und noch eine. Ich durfte mir den Appetit nicht von Horrornachrichten verderben lassen. Ich musste Kräfte sammeln.
    Als ich aufschaute, saß auf dem Tisch direkt vor mir eine eher kleinere Ratte und schaute mich mit ihren Kulleraugen an. Diese da war eigentlich gar nicht eklig. Sogar ziemlich süß. Der Schwanz war auch gar nicht nackt, sondern mit Härchen bedeckt, wenn man nur genau hinsah. Ich reichte ihr einen Krümel und war froh, als sie ihn packte und davonhuschte. Dann wusch ich mir sofort die Hände mit dem Geschirrspülmittel am Waschbecken.
    Später machte ich mich auf eine Tour durchs Haus, stand aber plötzlich auf der Terrasse, die in den Garten führte. Dort entdeckte ich ein großes Rattengehege mit Häuschen aus Kisten und umgedrehten Tontöpfen, aus Geäst aufgebauten Klettergerüsten mit Leitern und Glöckchen. Das Türchen stand offen, drin schliefen einige zusammengerollte Wollknäuel.
    Ich sprang auf die Wiese, barfuß, wie ich war. Das Gras kitzelte meine Fußsohlen. Ich rannte über die Wiese, die mich zu einem Teich führte, der mit kleinblättrigen Pflanzen bewachsen war, die immer wieder vom Rücken eines rötlichen Fisches auseinandergeschoben wurden.
    Ich überlegte, ob ich die Füße in den Teich stecken sollte, aber irgendwas hielt mich davon ab, vielleicht Respekt vor dem Fisch, dessen Zuhause der Teich war und dem ich meine Füße nicht ins Gesicht halten wollte.
    Ich legte mich ins Gras und schaute die Wolken an. Meine Mutter hatte einmal gesagt, Nichtstun und Wolkengucken würde die Nerven beruhigen. Diese Worte waren an einer Kaffeetafel anlässlich irgendeines runden Geburtstags gefallen. Ingrid und Reto hatten meine Mutter angeschaut und den Kopf geschüttelt. Nichtstun war bei uns verpönt. Wir waren schließlich normal.
    Meine Nerven beruhigten sich nicht. Ich hatte das Gefühl, dass mich die Wolken an Mamas Profil und ihr wehendes Haar erinnerten. Das machte mich traurig, ich drehte mich auf den Bauch und schlief plötzlich ein.
    Schon wieder träumte ich von meiner Mutter, sie sah mich an und winkte, rief mich zu sich, als wäre nichts geschehen, aber auch im Traum wusste ich, dass es nicht wahr sein konnte. Mir war ein Unglück zugestoßen, da konnte mir ihr geträumtes Lächeln auch nicht viel helfen.
    Ich wachte davon auf, dass Ksü mich an der Schulter rüttelte und brüllte: »Hier bist du ja! Gott sei Dank! Ich dachte, du wärest schon wieder weg! Ich habe extra die letzten beiden Stunden geschwänzt, um es dir zu erzählen. Weißt du, was? Professor Melchior hat es meinem Bruder gesagt und mein Bruder hat mir eine Nachricht geschickt und deswegen bin ich da, weil: Der Professor ist an die Liste aller Pheen gekommen, die im Dementio gelandet sind und DEINE MUTTER IST NICHT DABEI.«

Die schwarze Liste
    Ich blickte in das runzelige Gesicht des Professor Melchior und er sah in seine Tasse mit dem Pheentee und seine Augen tränten und er zuckte mit der Nasenspitze.
    »Sind Sie sicher?«, fragte ich und er rieb sich die Augen und sagte, heftig nickend: »Kindchen, wenn ich irgendwas behaupte, dann können Sie sich darauf verlassen, dass ich es ganz

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