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Spiegelkind (German Edition)

Spiegelkind (German Edition)

Titel: Spiegelkind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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genau weiß. Ich bin schließlich Jurist und kein Metzger, mir konnten sie diese Listen nicht verweigern, wenn ich einen Verdacht habe, meine Mandantin ist betroffen. Und sie sind ja immer pingelig mit allen Personalien – Laura ist nicht dabei.«
    Bei dem Gedanken rollte eine Träne aus seinem Auge und verirrte sich in einer seiner tieferen Falten. Ich glaubte, den Grund zu wissen, jedenfalls sparte ich mir die Frage, ob er vielleicht irgendeinen anderen Namen auf dieser Liste kannte.
    »Aber was ist jetzt?«, fragte ich ihn. »Wo soll ich sie denn suchen?«
    Er zuckte hilflos die Achseln.
    »Ich schäme mich fürchterlich, dass ich Ihnen darauf keine erfreuliche Antwort geben kann, Kindchen. Ich kann nur eins sagen – sie hätte da sein müssen, in der Anstalt. Sie steht auf der schwarzen Liste. Sie hätte abgeholt werden müssen. Aber irgendwas ist schiefgelaufen, aus der Sicht dieser Quäler. Sie ist nie im Dementio angekommen. Es tut mir sehr leid, aber das ist alles, was ich weiß.«
    Ich nickte automatisch, ich konnte gar nicht sauer auf ihn sein – so hilflos und verzweifelt wirkte er. Und bevor ich auch komplett verzweifelte, durchzuckte mich ein Gedanke. Wie hatte es Ivan gesagt – Pheen schotten sich ab .
    Es war ganz einfach! Warum war ich nicht eher draufgekommen?
    Ich musste eine andere Phee finden und sie fragen, ob sie meine Mutter kannte. Sie musste ein Leben außerhalb unseres Zuhauses gehabt haben. Ich sah unser weißes Haus vor meinem inneren Auge, den Garten, das Garagentor. Jetzt kam mir alles fremd und schrecklich weit weg vor. Wenn ich mehr über das Leben meiner Mutter außerhalb des normalen Viertels erfuhr, würde ich vielleicht auch rauskriegen, wo sie jetzt steckte.
    Und dann fiel mir ein, was Ksü mir einmal erzählt hatte, und kaum war ich wieder bei Ivan und Ksü zu Hause, stürzte ich mich auf die Altpapiertonne.
    Wir fuhren mit Ksüs Moped hin. Ich hatte die Anzeige der Wahrsagerin aus dem alten Werbeblatt herausgerissen und den Fetzen in die Hosentasche gesteckt. Ksü war sofort für meinen Plan entflammt. Ich hatte da schon wieder Zweifel an meiner eigenen Idee gehabt, aber Ksüs Entschlossenheit gab mir Auftrieb.
    Der Straßenname sagte mir gar nichts, aber Ksü meinte, sie läge im Pheendorf.
    »Aber du hast doch gesagt, im Pheendorf leben gar keine Pheen mehr«, wandte ich ein.
    Ksü zuckte mit den Schultern. »Das Viertel ist eben ein Sammelbecken für Abgestiegene aller Art.«
    »Also doch?«
    Ksü sagte nichts mehr.
    Die Wahrsagerin praktizierte im Keller eines kleinen Hauses, das sich in eine schiefe Reihe ähnlicher Hütten quetschte. Die Hausnummer war unter der dicken Schmutzschicht nicht zu erkennen, aber Ksüs Navi hatte es trotzdem zielsicher gefunden. Ich sah mich um auf der Suche nach einer Art Praxisschild.
    »Vergiss es«, sagte Ksü. »Kein Normaler möchte sich dabei erwischen lassen, wie er zu einer Wahrsagerin geht. Obwohl sie es natürlich alle tun. Wenn jemand hier gesehen wird, kann er dann immer noch hoffen, dass niemand weiß, was er vorhat.«
    Ich stieg ab und sah sie Hilfe suchend an. Ksü saß immer noch rittlings auf dem Moped. Sie schüttelte bedauernd den Kopf, es fiel ihr sichtlich schwer, mich allein zu lassen. Aber Ivan hatte uns gewarnt – zu einer Wahrsagerin ging man eben nicht zu zweit, wenn man es ernst meinte.
    »Hast du Bargeld dabei?«, fragte Ksü zum vierten Mal.
    Ich klimperte mit den Münzen in der Hosentasche.
    »Viel Glück«, sagte Ksü.
    Ich seufzte. Dann schob ich die quietschende Tür auf und betrat das Haus.
    Ich fand mich in einem stockdüsteren Flur mit einer so niedrigen Decke wieder, dass ich sie mit meinen Stoppelhaaren kitzelte. Ich streckte die Arme aus und berührte eine raue Wand, tastete mich ein paar Schritte vor und wartete, bis meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann sah ich einen schmalen Lichtstreifen knapp über dem Boden, erahnte dort eine Tür und drückte vorsichtig die Klinke herunter.
    Der Raum war so klein und vollgestellt mit Möbeln, dass ich fast Platzangst bekam. Ich brauchte eine Weile, bis ich in dem Durcheinander die Hausherrin erkannte, eine kräftige Frau mit ausladendem Oberkörper, gekleidet in eine Art gemusterten Vorhang. Erst dachte ich, sie säße auf einem Thron. Aber es war ein Rollstuhl, dessen rostige Räder unter der Wolldecke rausguckten, mit der die Frau ihre Beine bedeckt hatte.
    Sie saß ganz unbeweglich da, wie eine Schaufensterpuppe, die für Spenden für

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