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Spiegelkind (German Edition)

Spiegelkind (German Edition)

Titel: Spiegelkind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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werde dich beschützen vor solchen wie mir, ich könnte dir niemals wehtun«, sagte der Mann, der bald mein Vater werden würde.
    »Wenn ich wieder frei sein will, weil ich keine Luft mehr zum Atmen habe, wirst du versuchen, mich zu zerstören und dich dazu«, sagte die Frau, die bald meine Mutter sein würde.
    »Nein. Das verspreche ich. Du denkst, ich bin einfach verzweifelt. Aber in Wirklichkeit liebe ich dich.«
    »Ich glaube, du verwechselst hier etwas.«
    Ich träumte nicht, ich war an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit und ich belauschte meine Eltern, die gerade besprachen, ob sie es wagen sollten, meine Eltern zu werden.
    Am nächsten Morgen wachte ich gerädert auf. Ksüs Wecker hatte geklingelt, aber ich hatte immer noch die Daunendecke vor meinem Gesicht und tat, als würde ich schlafen. Ksü flüsterte in meine Richtung, ob ich wach sei und in die Schule gehe. Ich rührte mich nicht. Wenig später stieg sie vorsichtig über mich, quietschte mit Schranktüren und dann hörte ich ihre Schritte auf der Treppe und Ksüs und Ivans Stimmen unten in der Küche.
    Ksü kam nicht mehr ins Zimmer zurück. Ich lag noch eine Weile so herum, schlief ein und wachte wieder auf, nahm mir die Decke vom Gesicht, schaute mich um. Ksü hatte die schweren Vorhänge nicht auseinandergezogen. Sonnenstrahlen kämpften sich durch den orangefarbenen Stoff und kitzelten meine Nase. Ich musste niesen. Ich dachte an meinen Vater und daran, dass ich nun schon die zweite Nacht nicht nach Hause gekommen war, ohne mich zu melden. Aber obwohl ich in großen Schwierigkeiten steckte, spürte ich kein schlechtes Gewissen, und schon gar nicht meinem Vater gegenüber. Ganz im Gegenteil. Sollte er doch das Gleiche durchmachen wie das, was ich beim Verschwinden meiner Mutter erlebt hatte – vielleicht verstand er mich dann endlich mal.
    Ich warf die Decke ab und richtete mich auf. Die Luftmatratze unter mir fühlte sich an wie warmer Pudding. Ich schaute an mir herunter. Ksü hatte mir ihren Schlafanzug mit den schwarzen Totenköpfen auf rosa Hintergrund ausgeliehen.
    »Ksü!«, rief ich leise, aber niemand antwortete. Ich strich mir automatisch die Haare glatt, meine Hand schreckte vor dem ungewohnten Gefühl der Stoppeln zurück. Dann versuchte ich, in einer Art unerklärlichem Überschwang die Treppe runterzutanzen, und rief dabei laut Ksüs Namen. Ich war auf der letzten Treppenstufe angekommen, als ich ein verlegenes Hüsteln hörte, das ich aber missachtete, weil mir mal wieder eine Ratte vor die Füße huschte. Und ich war schon in der Küche, als ich Ivan sah, der am Esstisch eine Zeitung vor sich ausgebreitet hatte und über ihren Rand mit hochgezogener Augenbraue auf mich schaute.
    »Ksü ist schon in der Schule«, sagte er. »Wir haben beschlossen, dich nicht zu wecken. Du warst gestern so traurig und erschöpft.«
    »Das ist … rücksichtsvoll von euch.« In Ivans Gesellschaft wusste ich seltsamerweise nie, was ich sagen sollte. Und ich benahm mich dann immer extra bekloppt. Als würde ich es darauf anlegen, den dämlichsten Eindruck zu hinterlassen, den ich nur konnte. Jedenfalls guckte mich Ivan neugierig und zugleich unschlüssig an und ich wurde mir schmerzhaft meines zerfransten blauen Kopfs bewusst. Meine Wangen begannen wieder zu prickeln.
    »Ich muss ziemlich bescheuert aussehen«, sagte ich.
    »Gar nicht.« Ivan lächelte. »Vergiss nicht, ich bin unter Freaks aufgewachsen. Mit blauen Haaren kann man mich nicht erschüttern. Im Gegenteil, für mich gehören sie sozusagen zum Schönheitsideal.«
    Ich sah ihn misstrauisch an, er schaffte es, gleichzeitig zu lächeln und sehr ernst zu bleiben. Aber jetzt hatte er selber mit dem Thema angefangen, da durfte ich ja wohl nachfragen.
    »Unter Freaks aufgewachsen? Aber du selber bist keiner, oder? Ist es keine genetische Sache?« Und vor allem, wohin sind eure Eltern verschwunden? Sind sie krank oder im Gefängnis? Ich traute mich nicht, die letzten beiden Sätze auszusprechen.
    Ivan lächelte noch immer. »Du kommst einfach so morgens in die Küche und stellst eine Frage, über die ich meine Doktorarbeit schreiben will. Ich habe mich auch immer gefragt, warum sich alle verhalten, als wäre es eine genetische Sache. Für mich ist es offensichtlich, dass es eine Frage der Prägung ist. Aber, um deine Neugierde zu befriedigen, ich stamme …« Sein Gesicht verdüsterte sich für einen Augenblick. »… tatsächlich aus einer Freak-Familie.«
    »Aus einer Freak-Familie?« Wir

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