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Spiegelkind (German Edition)

Spiegelkind (German Edition)

Titel: Spiegelkind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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näherten uns dem Geheimnis. Jetzt wollte ich nicht mehr lockerlassen, auch wenn es ihm sichtlich schwerfiel weiterzusprechen. »Wie kann es sein? Du siehst völlig normal aus. Ordentliche Klamotten, Haare geschnitten und ungefärbt … also jedenfalls wirken sie ungefärbt … Ach Mensch, ich rede wahrscheinlich gerade den größten Blödsinn.«
    »Gar nicht«, sagte Ivan. »Ich habe mal in der Schule, da war ich jünger als du, ein Referat darüber gehalten, warum Freaks natürliche Haarfarben und gepflegte Klamotten so verabscheuen. Das Ergebnis war für mich damals schon ernüchternd. Es war historisch bedingt. Damit hatten die ersten Freaks versucht, sich von den Normalen abzugrenzen. Dann bekam das Äußere einen, wie ich finde, unangemessenen Stellenwert. Man wird schon als Kind darauf getrimmt, dass so etwas besonders schön sei. Ich fand es, ehrlich gesagt, schon immer ein bisschen lästig. Die Freaks hätten viel mehr davon, wenn sie sich darauf besinnen würden, dass nicht die Haare, sondern das Herz die Freiheit ausmachen. Wenn sie so stolz drauf sind, die Grenzenlosen zu sein, warum halten sie dann an einer Frisur fest? Genau das machen die Normalen doch auch schon seit Jahrzehnten.«
    »Mmmh«, murmelte ich. Das Wichtigste für mich war, er fand blaue Haare nicht schön. Und ich war am Vortag noch so stolz darauf gewesen, dass ich mich mit ein bisschen Farbe von Grund auf verändert hatte. Dabei war das alles in Ivans Augen kindisch und oberflächlich. Ich brauchte mich nicht weiter aufzuregen, ich hatte schon verloren.
    Irgendwie frustrierend, irgendwie erleichternd.
    Ich setzte mich ihm gegenüber und schaute mich um. Es herrschte ziemliches Durcheinander in der Küche. Auf der Tischplatte lagen zwei Päckchen Butter, eins davon angerissen, ein paar Trauben, ein angeschnittener Laib Brot auf einem Holzbrett. Drum herum lagen Krümel und Häufchen verstreuten Zuckers. Es roch nach Zimt und Vanille. Alles ein bisschen wie bei meiner Mutter. Wieder dachte ich kurz an mein Zuhause, meine Geschwister, an Papa. Sie waren um diese Zeit alle bereits unterwegs. Ingrid wischte wahrscheinlich gerade Staub.
    »Bitte nimm dir, was du magst.« Ivan vertiefte sich von Neuem in die Zeitung. Ich war ihm dankbar dafür, denn ich hatte Hunger und unter seinem Blick zu essen, würde mich ganz schön stressen.
    Ich säbelte eine Scheibe vom Brot ab. Es war noch warm. Ich bestrich es mit Butter, sie schmeckte leicht salzig. Ich kaute vorsichtig und schielte immer wieder zu Ivan rüber. Er sah auf.
    »Möchtest du mich etwas fragen?«
    Ha. Ich hatte nichts als Fragen; jeder meiner Gedanken hatte ein Fragezeichen. Ich wusste bloß wieder einmal nicht, wie ich das Dringendste formulieren sollte.
    »Ich habe dich gar nicht gefragt, wie das Gespräch mit Professor Melchior verlaufen ist«, sagte Ivan. »Ich habe immerhin ein Seminar bei ihm und musste seine Sekretärin mit gepanschtem Pheentee bestechen, damit sie mir schnell einen Termin gab. Sie war davon ausgegangen, dass ich das Gespräch selber brauche.«
    »Ach, so war das gelaufen«, sagte ich steif. »Ich hatte mir, ehrlich gesagt, mehr von diesem Treffen versprochen. Dieser Mann ist immerhin Professor und der Anwalt meiner Mutter. Und er weiß trotzdem nicht, was ihr widerfahren ist. Er ist die ganze Zeit davon ausgegangen, dass sie munter nach der Regelung weiterlebt, die er für sie ausgehandelt hat. Ist das nicht merkwürdig?«
    »Wieso?«, fragte Ivan. »Wenn sie keinen Kontakt zu ihm aufgenommen hat, kann er doch auch nicht mehr wissen.«
    »Aber sie hätte sich doch bei ihm gemeldet, wenn sie gekonnt hätte. Sie hatte offenbar nicht mehr die Gelegenheit dazu, bevor sie …« Ich schluckte.
    »Du musst wissen, Pheen sind nicht sehr kommunikativ nach außen«, sagte Ivan. »Sie schotten sich ab.«
    »Du sprichst von ihnen, als wären sie eine gefährdete Tierart«, sagte ich. Und dann stellte ich die Frage, die schon die ganze Zeit in meiner Seele saß wie ein Splitter. »Sag mal, sagt dir der Begriff Dementio was?«
    Ivan senkte den Kopf, bewegte seine Lippen und sah mich dann wieder an.
    »Willst du das wirklich wissen?«
    Ich nickte, obwohl irgendwas in mir zu zittern begann.
    »Mit der Dementio-Regelung werden die Grundrechte der Pheen wieder einmal mit Füßen getreten«, sagte Ivan. »Es reicht ein einziger Antrag eines Normalen und die betroffene Phee wird von einer Sonderbrigade abgeholt, heimlich, um kein Aufsehen zu erregen.«
    Ich schluckte. Es stimmte

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