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Spiegelkind (German Edition)

Spiegelkind (German Edition)

Titel: Spiegelkind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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nie gehört hatte. Etwas, was mich dazu bringen würde, alles zu bereuen, meine Pläne aufzugeben, sofort nach Hause aufzubrechen. Ich hatte Sehnsucht nach einem kleinen Rest meiner Kindheit, offenbar hatte ich die Hoffnung, dass alles irgendwie noch gut werden würde, doch nicht ganz aufgegeben.
    Aber mein Vater machte es mir einfach.
    »Ich erwarte dich spätestens in einer halben Stunde zu Hause«, sagte er mit offizieller Stimme.
    »Nein«, sagte ich.
    »Ich weiß, wo du bist.«
    »Dann brauche ich es dir ja auch nicht zu erzählen. Dann kann ich dich gleich darüber informieren, dass ich erst mal hierbleiben werde.«
    Mein Vater lachte gutmütig.
    »Was bist du doch noch für ein Spielkind, Juliane. Pack deine Sachen, ich bin gleich da. Das Lyzeum hat die Adresse deiner Entführer an die Polizei weitergereicht. Wir werden mit dieser Situation zurechtkommen. Notfalls gehst du in eine Behandlung. Du wirst schon wieder normal, das verspreche ich dir.«
    »Du hast mich nicht verstanden. Ich komme erst wieder nach Hause, wenn ich weiß, was mit meiner Mutter passiert ist.«
    Ich legte auf, bevor ich seine Antwort hören konnte, und schaute in Ksüs blasses Gesicht. Sie nickte und versuchte ein Lächeln.
    Sobald ich die Stimme meines Vaters nicht mehr hören konnte, zweifelte ich daran, mich richtig verhalten zu haben. Vielleicht hatte ich einen schlimmen Fehler begangen, indem ich Ksü und Ivan noch mehr in diese schmutzige Angelegenheit mit reinzog.
    Mir war klar, dass ich gehen musste, aber ich schaffte es nicht. Ich wollte nicht weg von hier. Ich wollte nicht mehr allein sein. So heldenhaft war ich nicht.
    Es passierte schneller, als ich gefürchtet hatte. Ksü merkte es zuerst.
    »Hörst du das auch?«, fragte sie.
    Ich spitzte die Ohren, hörte aber nur das Rauschen der Baumkronen im Wind.
    »Was meinst du?«
    Ksü gab keine Antwort.
    Und in diesem Moment hörte auch ich ein gleichmäßiges Geknatter, das ganz langsam dichter wurde.
    »Was ist das?«, fragte ich.
    Ksü presste den Zeigefinger an ihre Lippen, lauschte angestrengt und dann erkannte ich sie auf einmal kaum wieder. Ihre ganze Coolness war wie weggeblasen. Beängstigende Unruhe überfiel sie. Entsetzen stand in den weit aufgerissenen Augen, den Augen eines Kindes, das zum ersten Mal im Leben geschlagen wird und es nicht fassen kann.
    »Was hast du bloß, Ksü?«
    »Ich habe Angst«, flüsterte sie.
    »Hab keine Angst, es wird schon irgendwie werden.«
    »Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Es geht schlecht aus. Das weiß ich. Es war schon einmal so ähnlich.«
    »Wovon redest du?«, fragte ich nervös. »Was war schon mal?«
    »Es war Nacht, damals.« Ksüs Zähne klapperten. »Es war anders, aber es war das Gleiche. Ich habe Angst. Mama und Papa …«
    Sie verstummte, die Augen aufs Fenster geheftet. Sie war keine Ksü mehr, sie war ein Häufchen Elend, das ich, ohne zu begreifen, was ich da eigentlich tat, in die Arme schloss. Ich drückte sie an mich, fuhr mit der Hand über ihren Schädel und flüsterte, als wäre sie meine kleine Schwester, während der Lärm ohrenbetäubend wurde:
    »Wir schaffen das schon, Ksü. Zusammen schaffen wir es. Wovon auch immer du sprichst: Das hier ist anders. Wir kriegen das hin.«
    Es schien zu wirken. Ksü kam wieder zu sich. Sie packte meine Hand und murmelte: »Wie gut, dass du dir die Haare gefärbt hast. So werden sie dich nicht so schnell erkennen.« Sie zog mich hinter sich durch das Haus, aber nicht zum Haupteingang, sondern in eins der hinteren Zimmer, das bis auf ein rostiges Bettgestell leer war.
    »Wir klettern durch das Fenster raus, schnell auf das Moped und nichts wie weg.«
    »Aber du musst doch nicht mit.«
    »Halt die Klappe. Wir dürfen keine Zeit verlieren.« So hatte Ksü noch nie mit mir gesprochen. Plötzlich wurde auch mir klar, dass die Sache ernst und eventuell lebensgefährlich war, und ich rannte hinter Ksü her, aber wir waren trotzdem zu spät.
    Das Geknatter dröhnte nicht nur über dem Haus, sondern auch in meinem Schädel.
    »Was ist das?«, brüllte ich. Ksü hatte schon das Fenster aufgerissen und schob mich raus.
    »Schnell!«, rief sie. »Lauf!« Aber dann sah ich mehrere mintgrüne Hubschrauber, die über dem Haus kreisten, mit grellen Scheinwerfern zwischen den Baumkronen in den Garten leuchteten, ich konnte jetzt zwischen Helikopter-Geknatter und einem weiteren, etwas dumpfer klingenden unterscheiden, endlich wurde mir klar, dass es sich um das typische Geräusch der

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